…so könnte man die Frage vielleicht stellen, wenn man nach der Verlesung der Tiroler Winterbilanz den Vorsitzenden des österreichischen Liftverbandes gemeinsam mit dem Chef der Tirol Werbung mit Rädern auf dem Foto sichtet.
Aber fangen wir die Frage von vorn an. Ende April fand in Schweinfurt der dritte IMBA Europe Summit statt. Verbände aus ganz Europa kommen zusammen um über Probleme und vor alle Lösungen zu diskutieren, neue Erkenntnisse zu teilen und auch Fragen aufzuwerfen. Ich sollte in diesem Rahmen über Nachhaltigkeitsaspekte von MTB-Tourismus sprechen. Einer davon hieß „Nachhaltige Produkte“ und sollte der oben gestellten Frage nachgehen, begann aber mit der These, dass der Klimawandel empfindliche Auswirkungen auf den MTB-Tourismus im Alpenraum haben wird.
Woher kommt diese Vermutung?
Schaut man auf alpinen MTB-Tourismus, wird man in beinahe jedem Gebiet liftunterstützte Angebote finden, bzw. Angebote, die sich um einen Lift herum sammeln. Die Trails sind zumeist technisch, also alpine Wanderwege oder auch angelegt, dann gerne ebenso anspruchsvoll. Der Uphill per Lift oder Shuttle ist selbstverständlich, Tagestouren werden meist auf Forststraßen ausgeschildert.
Das Problem ist hier, dass der Kunde, sprich der Mountainbiker doch viel lieber Natur genießen möchte, er möchte einfache Trails, Tagestouren, benötigt nicht unbedingt einen Lift (das geben zumindestens 80 % der Zielgruppe an ) und vor allem möchte er Gemeinschaft.
Das klingt nach zwei sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und die Frage stellt sich: Woher kommt der Fokus des alpinen Tourismus auf ihre Infrastruktur, sprich Lifte?
Klar, er kommt aus der Wertschöpfung. Die Liftbetriebe versuchen im Sommer ihren Verlust zu minimieren, sind aber primär mit Wartungsarbeiten beschäftigt, möchten also ihre Arbeit gering halten. So bekommen sie meist Umlagezahlungen der Tourismusverbände im Gegenzug für die Öffnung einiger Lifte. So sollen diese natürlich auch ausgelastet werden und das Angebot entsteht rund um den Lift. Darüberhinaus ist gerade die Neuanlage von Wegen ohne den Zuspruch der Liftgesellschaft oft nicht möglich.
Exkurs: Die Wintereinnahmen der Lifte bzw. auch die Deckungsbeiträge im Winter übersteigen im Grunde in jedem Gebiet der Alpen und aktuell auch in Deutschland die Einnahmen des Sommers. D.h. Investitionen in den Sommer werden zum fast ausschließlichen Teil über Überschüsse aus dem Winter finanziert.
Glaubt man nun den Verlautbarungen der Bundesregierung, dann überleben in den nächsten 10 Jahren lediglich 10 % der Skigebiete in Deutschland. Damit dürfte die Zahl der aktiven Skifahrer, die aktuell bei 14,61 Mio. Menschen liegt in kurzer Zeit rapide sinken, denn ohne regionales Skigebiet wird der Nachwuchs das Skifahren nicht mehr lernen. Ergo bleiben den alpinen Gebieten die Gäste aus. Das ist natürlich, gerade in Bezug auf den Klimawandel ein Stück weit Mutmaßung, unterhält man sich in den Alpen mit Tourismuskennern wird diese Prognose aber nicht in Frage gestellt.
Doch mit ausbleibendem Winterinvestment gibt es auch keine Entwicklung mehr im Sommer.
Hier könnte man nun einwerfen, gut, dann muss das Angebot im Sommer verbessert werden und dann verdient man dort Geld. Und hier wird es in zwei Richtungen schwierig:
- Deckungsbeitrag: Der ist im Sommer wesentlich niedriger. Im Winter ist es völlig klar, dass der Lift bezahlt wird, der Skilehrer und alles was man darüber hinaus noch drumherum macht. Im Sommer ist man es als Mountainbiker mittlerweile gewohnt Pauschalangebote wahrzunehmen, in denen das Liftticket enthalten ist, der Guide und was man sonst noch so braucht. Die Produkte an sich werden also entwertet. Guiding ist im Grunde nichts mehr wert, ebenso wie der Aufstieg. In Finale dürfte der Preis für eine Abfahrt inkl. Guide und Shuttle mittlerweile unter 5 € liegen. Da müssen schon sehr viele Biker durchgeschleust werden um damit noch Geld zu verdienen. Für den Alpenraum an sich bedeutet das, dass auf Grund des niedrigeren Deckungsbeitrages und der momentan noch wesentlich niedrigeren Anzahl an Bikern im Vergleich zu Skifahrern von einem Ausgleich nicht einmal zu träumen ist.
- Die angebotenen Produkte (das touristische Angebot) sprechen nur einen sehr geringen Teil der Zielgruppe an. Und hier muss ich noch mal etwas weiter ausholen.
Mountainbiken ist aus Sicht sozialer Nachhaltigkeit ein exklusiver, kein inklusiver Sport. Ca. 20 % Frauen, überdurchschnittlich verdienend, ca. 37 Jahre alt und mit einem hohen Zuwachs an Verletzungen versehen ist der durchschnittliche Mountainbiker. Das muss man erst einmal nicht problematisch finden, für den Tourismus ist es das durchaus und er ist für den deutschsprachigen Raum nicht ganz unschuldig daran.
Frauen sind unterrepräsentiert und das ist vor allem deshalb problematisch weil 80 % der Urlaubsentscheidungen von Frauen getroffen werden. Wenn diese aber nicht biken wird es vielleicht auch eher nicht zum Biken gehen. Für den Vortrag habe ich die letzten 12 Monate Bildsprache und Anzeigensujets in world of mtb und Mountainbike-Magazin ausgewertet.
Auffällig ist der klare Überhang von Männern und das komplette Fehlen von Familiensujets. Erinnern wir uns kurz dass wir ein durchschnittliches Alter von 37 Jahren haben, dann ist das die Zeit mit kleinen Kindern. Familien werden aber in keiner Form von Industrie oder Bikemedien abgeholt. Die Bildsprache von Bikeregionen ist da nicht anders.
Mountainbiken ist darüberhinaus kostenintensiv. Ein durchschnittliches Hardtail kommt auf 800 €, ein Fully auf 2.500 €, ein paar Laufschuhe dagegen nur auf 80 €. Überlegen wir uns als weitgereiste Biker mal kurz welche alpinen Strecken wir mit einem 800 € Hardtail fahren wollen, dann wird es angebotstechnisch durchaus dünn. Zwar geht es, aber spaßig ist doch meistens etwas anderes. D.h. alpiner MTB-Tourismus wirkt da durchaus ausschließend. Erinnern wir uns zurück, dass in so gut wie allen Gebieten der Lifttransport stark beworben wird, dieser, gerade bei Einsteigern und weniger versierten Fahrern aber mit Bikepark und damit mit sehr schwierigen Strecken verbunden wird, kommt dem Lift weniger eine ein- als eine ausladende Funktion zu.
Darüberhinaus ist die Bildsprache in Magazinen und Werbung vor allem actiongeladen, oder rein produktbezogen.
Ruft man sich aber in Erinnerung was die Hauptmotive von Mountainbikern sind, dann stellt man wenig Übereinstimmung fest.
Darüberhinaus sind wir beim eingangs genannten Problem, dass alpine Regionen oftmals entweder Bikeparkstrecken und/oder Forstwegtouren anbieten, diese aber dann doch gerne als ideal für alle von 3-99, vom Einsteiger bis zum Profi beschreiben. Die Bildsprache changiert zwischen Bikeparkaction und Pärchen mit Bike neben sich im Gras vor einem See. Vertrauen in diese Kommunikation auf Mountainbikerseite Fehlanzeige.
Und ein weiteres Problem ergibt sich auf Angebotsseite – die Sicherheit. Die Suva, die grösste Trägerin der obligatorischen Unfallversicherung in der Schweiz hat die neuesten Unfallstatistiken veröffentlicht. Die Zahl der MTB-Unfälle stieg um 200 % in den letzten zehn Jahren an. Bei der Suva geht man davon aus, dass die Mountainbiker um ebendiesen Wert anstiegen, allerdings legt das keine seriöse Studie nahe. Problematisch ist, dass ca. 50 % der Unfälle sich auf Sportstätten ereigneten, also auf gebauten Strecken. Damit liegt der Schluss nahe, dass diese für die aktuelle Zielgruppe im Grunde zu anspruchsvoll und evtl. auch zu gefährlich sind.
Und das bedeutet nun was?
Im Grunde bedeutet es, nach meiner Ansicht, dass das aktuelle Angebot im MTB-Tourismus, dessen Kommunikation und sicherlich auch die Bildsprache in Medien und Industrieanzeigen dazu führen, dass Mountainbiken momentan nicht weiter wächst. Die Einstiegshürden sind groß, es ist teuer und es fehlt an wirklich niedrigschwelligen Angeboten.
Gerade im alpinen Raum sind die vorhandenen Strecken recht anspruchsvoll, sowohl vom Untergrund her, von der Streckenführung, aber auch in der Länge. Sobald ein Lift im Spiel ist, handelt es sich meist um 500 m Höhendifferenz und mehr. Das ist für einen weniger fitten Fahrer auch bergab eine Menge. Möchte man einen solchen Höhenunterschied wirklich einsteigerfreundlich gestalten, bräuchte man eine ca. 10 km lange Abfahrt, doch dazu reicht der Platz in den Alpen oftmals nicht aus.
Was ist die Konsequenz daraus?
Meine ganz persönliche Konsequenz ist, dass es dringend notwendig ist, dass man sich im alpinen Tourismus auf die Wünsche des Kunden fokussiert, nicht auf vorhandene Infrastruktur. Dass man Angebote schafft die eine breite Zielgruppe wirklich ansprechen können und „höher hinaus“ Ambitionen auch mal hintenanstellt. Dass man damit ein Angebot schafft, dass auch in 20 Jahren noch begeistert und überlebensfähig ist, dass damit Wegepflege finanziert und einen sauberen Deckungsbeitrag für eine Region generiert. Vor allem würden solche niedrigschwelligen Angebote tatsächlich eine breite Zielgruppe ansprechen, wie die Beispiele in Schottland oder auch Tschechien mit Singltrek pod Smrkem zeigen. Vor allem aber zeigt es mir welches Potenzial in deutschen Mittelgebirgen steckt ein solches Angebot zu schaffen. Das muss nicht als Kopie sein, sondern kann seine eigene Note haben. Wichtig ist in meinen Augen ein Angebot zu schaffen, dass niedrigschwellig ist, Familien anspricht und dennoch einer MTB-Szene Spaß bereitet. Auch hier ist Singltrek pod Smrkem ein gelungenes Beispiel. Diese Angebote würden kanalisieren, sie würden politisches Gewicht haben, da man sehen würde wie breitentauglich und wertschöpfend Mountainbiken sein kann. Diese Angebote wären mit äußerst günstigen Bikes fahrbar und versierte Fahrer hätten immer noch jede Menge frei zugängliche Naturwege drumherum.
Aber um auf die Eingangsfrage zurückzukommen. Nein, Mountainbiken kann nicht das neue Skifahren werden. Mit der Entwertung des Liftanstieges ist in dem Bereich vorerst kein Geld zu verdienen, und der Fokus auf diese Lifte wird zwangsläufig schwinden müssen, wenn MTB-Tourismus eine relevante Rolle in der Sommerwertschöpfung spielen soll. Selbst Whistler ist im Sommer weit entfernt von der Wertschöpfung des Winters, und im Grunde ist das auch gut so. Mountainbiken soll, in meinen Augen, keine dominierende Rolle einnehmen, sondern gleichberechtigt als ein Natursport unter vielen existieren. Schließlich sind die meisten auch im Urlaub Multisportler und gerade die Vielfalt macht es für Gäste und Tourismus spannend.