Im Rahmen der EWS Südamerika-Stopps nutzten Max Schumann und Ines Thoma die Chance, noch ein wenig auf dem Kontinent herumzureisen – viel Spaß beim Bericht vom 2. Teil ihrer Patagonien-Reise.
Seit 40 Minuten stehen wir am Grenzübergang Puyehue inmitten einer skurril toten Baumlandschaft in Nordpatagonien. An der Grenze zwischen Chile und Argentinien ist zuletzt am 4. Juni 2011 der Vulkan Puyehue ausgebrochen und hat die bewaldete Landschaft kilometerweit eigenartig verändert. Man erinnert sich an „König der Löwen“, dort wo die Hyänen wohnen.
Gut dass wir es nicht eilig haben. Nach 4 harten Tagen beim Enduro Weltserien Auftakt in Chile (Link zur letzen Geschichte) sind die Beine an unserem Reisetag müde. Nun noch einige Formularen ausfüllen und strengen Grenzsoldaten zulächeln, dann haben wir es geschafft in Argentinien einzureisen und stellen fest, dass wir Kinder von Schengen es überhaupt nicht mehr gewöhnt sind an Grenzen zu diskutieren.
Wir genießen den kurzen Roadtrip nahezu, hängen unser Köpfe aus dem Fenster unseres Pickups und fotografieren die zauberhafte Landschaft auf dem Weg zum 2. Stop der Weltserie. Vom Meer geht es nun hoch hinaus, unser Ziel ist das größte Skigebiet Südamerikas, Bariloche, wo im vergangenen Jahr Barack Obama auf Skiurlaub war.
Am Folgetag geht es dann auch schon weiter im Geschäft. Track Walk steht an. Wir wissen von unserem Vermieter, dass es außergewöhnlich trocken ist für diese Jahreszeit. Es hat über 3 Monate nicht geregnet. Was das wirklich bedeutet wird uns beim Wandern klar: die Strecken sind staubig. Nein sehr staubig. Nein unglaublich staubig. Unglaublich!!
Das Rennen läuft hier, dank der Bergbahnen, etwas anders ab als in Chile. Wir trainieren zwei Tage mit Liftunterstützung, so dass wir es schaffen jede der 6 Stages zweimal zu fahren. Das hilft unglaublich viel. Die richtige Linie beim ersten Run finden, um sich dann in der zweiten Abfahrt mit schnellerem Tempo dem Rennspeed anzunähern. Das Ganze Prozedere ist zwar durchaus sinnvoll, kostet jedoch auch sehr viel Energie. Man braucht hier knallharte Oberkörper- und Armpower um die metertiefen Löcher zu überstehen, die sich nach und nach in die Rinnen eingraben.
Das Fahren im Sand ist absolut einzigartig. Mal findet man den Flow, surft wie durch kniehohen Powder und bekommt das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. In der nächsten Kurve gräbt sich das Vorderrad wieder etwas zu tief in die Dünen und man liegt schneller am Boden als man Mund und Nase sanddicht verschließen kann. Entscheidend ist eine gute Balance, um in den tiefen Rinnen auf dem Rad und in den Pedalen zu bleiben.
Sämtliche Emotionen sind auch an den beiden Renntagen in den Fahrergesichtern vertreten: man sieht viel Freunde, Spaß, aber auch Ärger und Frust. Ines legt sich geschlagene sechs Mal in den Dreck. Jedoch landet man hier meist in butterweichem Staub. Das große Glück findet, wer nach Gefühl und Intuition fahren kann. Die Linien verändert sich so stark, dass präzise Streckenkenntnis einen überhaupt nicht weiter bringt. Selten haben wir Linienspezialist Nico Vouilloz derart ratlos im Training gesehen. Man muss den Flow finden und einfach Risiko eingehen. Die Taktik mit vollem Risiko ist bei Ines zwar nicht ganz aufgegangen, dennoch hat sie hart gekämpft und wirklich alles gegeben. Wie auch schon beim letzen Wochenende ist es am Ende erneut Rang vier. Mit nur drei Sekunden Rückstand auf der 7 minütigen „Tretstage“ 5, war die physische Leistung an diesem Wochenende gut. Einige Stürze weniger im Sand wären aber wohl gewinnbringender gewesen ;).
Max hat sich von dem Rennen einiges erwartet. Die ersten Trainingsfahrten in dem ungewohnten Gelände waren zwar noch etwas zaghaft, relativ bald aber hatten wir uns an den weichen Untergrund gewöhnt und den viel beschworenen Flow gefunden. Fahren wie auf Dünen. Wirklich einzigartig. Im Rennen dann konnte er es aber nicht mehr so schön umsetzen und fuhr ungeschickt und zögerlich. Im Kopf einfach nicht entspannt und frei genug, um auf diesen unberechenbaren Trails schnell zu sein. Zu viele Füße fern von den Pedalen, zu viele Finger an den Bremsen. Am Ende Platz 67. Für den Saisonanfang noch okay. Viel gelernt haben wir bei dem verrückten Rennen auf jeden Fall.
Zum Abschluss des Rennwochenendes ging es ins vielleicht beste Steakhaus der Region, nur wenige Autominuten vom Rennen entfernt. Als wir das Lokal betreten, wundern wir uns nur kurz, dass scheinbar das gesamte Fahrerfeld hier das gelungen Rennen feiert. Das Fleisch überzeugt selbst uns eigentlich-lieber-Vegetarier. So groß, so zart, so blutig haben wir Steak noch nicht erlebt. Argentinien erfüllt auch an dieser Stelle die höchsten Erwartungen. Dazu 2-3 Berge Pommes, ein übergroßer, gemischter Salat und ein Gläschen Rotwein. Der Abend nach dem Rennen ist kulinarisch oft besonders reichhaltig. Am gigantisch großen Cube-Trek-Canyon-Ibis-Carver-Gemeinschaftstisch ist die Stimmung der Endurofamilie in Höchstform.
Am Tag nach dem Rennen sind wir vor allem müde. Arme, Beine und Rücken sind geschafft vom Rennen. Und der Magen scheint immer noch das zarte 500g Riesenfilet zu verdauen. Wir sind froh, dass wir nicht wie viele andere Fahrer schon vor Sonnenaufgang abreisen müssen. Wir bleiben schließlich noch eine ganze Woche zusammen mit Ludo May in Argentinien und können somit ausschlafen und entspannen. Die Berge sehen einladend aus, für spannende Wanderungen und lange Biketouren. Alles, was wir schaffen, ist aber nur der Weg zur Wäscherei und eine längere Spazierfahrt mit dem PickUp, die auch schon bemerkenswerte Ausblicke auf die Seen- und Berglandschaft rund um Bariloche bietet. Vielleicht bedingt durch den renn-, und staubvernebelten Kopf fühlen wir uns heute den ganzen Tag wie in einer Postkarte gefangen.
Am zweiten Tag nach dem Rennen wollen wir aufbrechen und weiterreisen. Immer noch müde, aber wieder wild entschlossen. Das Ziel is San Martin de los Andes. Ein Ort der immer genannt wurde, wenn wir Locals nach Bike- und Reise-Tipps befragt haben. Zu allem Glück haben wir während des Rennens, Ines und Maxi kennengelernt (kein Witz, die zwei heißen tatsächlich wie wir), die uns ungefragt eingeladen haben und uns Unterkunft bieten können. Was will man mehr als Trailtipps und Gesellschaft von netten und Enduro begeisterten Locals. Drei spannende Autostunden entlang der berühmten Ruta 40 später haben wir schöne Wälder durchquert, weitere traumhafte Seen passiert und sitzen in San Martin de los Andes. Recht viel Charme, noch mehr Touristen-Shops und fleischlastige Speisekarten. Wir bestellen, die lokale, angeblich einzigartige Spezialität „Milanese“ und sind nur ein wenig überrascht, dass es im Grunde ein trockenes Schnitzel ist. Mit dem feinen Filet vom Sonntag kann der panierte Lappen leider nicht mithalten. Ab Morgen wieder vegetarisch.
Am nächsten Tag endlich wieder aufs Rad. Die Körper sind einigermaßen erholt und die Trails wollen erkundet werden. Ja! San Martin de los Andes bietet allerfeinste Fahrradwege. Sandige, trockene Trails, die sich in ästhetischem Schwung durch die Hügel schlängeln. Traumhafter Grip und noch viel mehr Staub. In der Gruppe fahren ist hier leider unmöglich. Zu dick der Dunst. Wir halten großen Abstand und genießen die Abfahrten separat. Trotzdem sind die grinsenden Gesichter im Anschluss mit eine dicken Schicht Staub bedeckt.
Tag 2 in San Martin soll noch besser werden. Der Bikepark im hiesigen Skigebiet ist zwar schon geschlossen. Doch Sportlehrer Maxi ist hier treibende Kraft und Streckenchef und holt uns die Ausnahmegenehmigung im Skigebiet shuttlen zu dürfen. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Argentinier begeistert uns auch hier. Fast so sehr wie die Strecken. Es ist zwar kein Bikepark wie Whistler oder Portes du Soleil. Aber ein schöner Hang mit einigen wunderbar flowigen Abfahrten. Kleine Sprünge und viele Kurven, die echten Spaß machen. Radeln bei Mate Tee und Lamas. Fast zu klischeehaft um wahr zu sein.
Maxi arbeitet Vormittags als Sportlehrer an einer Schule, Nachmittags als Personal-Trainer im Fitnessstudio und als Fahrtechniktrainer auf dem Bike. Jede freie Minute, die er nicht arbeitet scheint er auf dem Bike zu verbringen. So auch heute. Direkt nach der Schule ist er mit uns in den Bikepark gefahren. Am späten Nachmittag begleiten wir ihn zum Kinder-Biketraining, im Anschluss sprintet er wieder ins Fitnessstudio, und steht um neun Uhr bereit zum Abendessen. „Milanese“ für ihn, gegrillte Forelle für uns. Steak für Ludo.
Das Kindertraining war ein Spaß. Wir die Überraschungsgäste. Es ist schön, bikebegeisterte Kinder und Jugendliche zu sehen. Sie sind unglaublich motiviert und hören auf jede von Maxis Ansagen. Erstmal wird sich im Pumptrack aufgewärmt. Linksrum und rechtsrum. Dann geht es zu verschiedenen Sprüngen, über die die Kids der Reihe nach drüberjubeln. Wir sind mittendrin. Ludo überrascht mit No-Handern und in einer kleinen Pause damit, dass er sich einfach rückwärts auf seinen Lenker setzt und losradelt. Zum Abschluss steht noch eine kleine Trailrunde an, die mich allein schon begeistert. Vielleicht liegt es daran, dass die Sonne gerade untergeht und die Landschaft in goldenes Licht taucht. Oder an der Aussicht, über Wäldern und Berge. Oder an dem nach wie vor beeindruckenden Grip und feinen Flow der Trails. Oder daran, dass ich Tausende Kilometer entfernt meiner Heimat die gleiche Begeisterung fürs Biken in den Augen der Kids sehe, die mich selbst vor vielen Jahren zum Biken gebracht und seitdem nicht mehr losgelassen hat. Vermutlich ist es die Mischung. Auf jeden Fall fühle ich mich wohl und genieße die Reise und das Biken in vollen Zügen. Staub auf Lunge.
Die letzte Station der Reise ist Pucón. Ein Touristädtchen wieder auf der Chilenischen Seite der Anden. Der Weg führt vorbei an Vulkanen, Bäumen, die aussehen wir eine Kreuzung aus Palme und Tanne und an chilenischen Grenzbeamten, die uns sämtliches Obst abnehmen. Frische pflanzliche Produkte dürfen nicht anreisen.
Auch Pucón begeistert. Ein neuer Ort, der wieder ganz anders ist. Am beeindruckendsten ist hier sicherlich der Vulkan Villarica, der drohend und fast immer sichtbar über der Stadt thront. Er gilt als einer der aktivsten Vulkane in Chile. Sein letzter Ausbruch vor gut einem Jahr habe dafür gesorgt, dass das diesjährige Chile-Rennen der Enduro Weltserie nicht hier stattfinden konnte. Schade wirklich. Die Trails am Fuße des Vulkans wissen zu begeistern. Auf bizarren Lavaströmen startend und über Katzenstreu-artigen Untergrund driftend, tauchen wir auch hier in flowig-spaßige Waldpfade ein. Ein Trail heißt offiziell Bikepark. Er überrascht mit einige Sprüngen und wilden Wallride-Kurven. Und außerdem mit etwas ungehalten wirkenden chilenischen Bauern, die am Ende des Trails die Nutzungsgebühr für den Bikepark kassieren.
Am letzten Tag der Reise gönnen wir uns noch einen letzten landschaftlichen und touristischen, wenn auch bikelosen Höhepunkt. Wir buchen eine kleine Expedition zum Gipfel des Villarica Vulkans. Angeblich eines der MUST-DOs in Patagonien. Am Kraterrand könne man mit Glück glühendes Magma sehen. Und wir haben Glück, am Vortag noch in dicke Wolken gehüllt, zeichnet sich der Vulkan an diesem Morgen klar und deutlich vom noch sternenübersäten Himmel ab. Aus dem Krater am Gipfel steigt eine hohe Dampfwolke, die durch das Magma im Krater orange leuchtet. Bedrohlich und faszinierend zugleich. Von der Bergschule, bei der wir die Tour gebucht haben werden wir zum Startpunkt gefahren und voll bergtauglich ausgestattet. Mit robuster Keidung, schweren Bergschuhe, Steigeisen, Eispickel und Helm. Und nach 5 Stunden Marsch über Sand, Fels, Schnee und Gletschereis stehen wir tatsächlich am Gipfel und beobachten das brodelnde Magma.
Und wie wir später erst feststellen, ist dies sogar genau der Vulkan, dessen Anblick uns aus dem Flugzeug bereits beim Hinflug fasziniert hat. So schließt sich unser 3-wöchiger Südamerika-Trip. Und wir sind wirklich froh und dankbar über die Möglichkeiten, die uns die Enduro Weltserie bietet. Spannende Rennen an noch viel spannenderen Orten.
Der Beitrag Von staubigen Trails, blutigen Steaks und heißen Vulkanen: Max Schumann und Ines Thoma in Patagonien ist auf MTB-News.de erschienen.