Graubünden, Arosa, Lenzerheide und jede Menge Trails: Fotograf Florian Scheible hat sich mit einer Truppe Biker für vier Tage Biken in die Schweiz aufgemacht und uns nicht nur sehr feine Bilder, sondern auch einen Bericht des Abenteuers mitgebracht. Das Wort hat Florian.
Carbon statt Kondition! Gell, du?!
Beim Packen für 4-Tage-Bikeabenteuer in Graubünden höre ich seltsam bekannte Stimmen in naher Ferne. Claudio Caluoris Angst und Freudenschreie beim letzten Course-Preview der Lenzerheide Downhill Worldcup-Strecke ertönen von rechts. War mein Handy nicht auf stumm geschaltet? Links hinter mir vernehme ich die Provokationen zweier Capra Ibex: „Carbon statt Kondition, gell du!?“ Hatte ich meinen Laptop nicht schon heruntergefahren?
Kopfschüttelnd verwerfe ich jeden Gedanken daran, bevor ich mich doch noch mit übernatürlichen Gegebenheiten auseinander setzen muss. Dann halte ich doch kurz inne. Was wohl auf mich zukommen mag? Spandex-Outfit oder Fullfacehelm? In Lenzerheide angekommen erwartet uns schon Remy, der uns die nächsten zwei Tage vorweg fahren wird. Es wird keine Zeit verloren und wir starten sofort los, rauf aufs Rad und rauf auf den Berg.
Bereits nach der ersten Runde einrollen im Bikepark war klar was Sache ist: Nämlich #fullgasMTB, so, wie es Lenzerheide verspricht.
Während wir Flow-Trails mit geschmeidigen Anliegern und verspielten Sprüngen entlang brettern, versuche ich immer mal wieder einen Blick auf mein Handy zu werfen, doch erst bei einer Pause auf den sketchy Downhill-Abfahrten schaffe ich es, schaue ganz unauffällig und überprüfe, ob ich das Video des Strecken-Previews ausgeschaltet habe. Es ist aus. Aber woher kommen dann Claudios Freudenrufe? Werde ich also doch verrückt? Strahlende Gesichter der Anderen stellen aber den plausibleren Grund dar.
Um dem Drehwurm, erzeugt von etlichen Achterbahn-Anliegern, entgegenzuwirken, erkunden wir die gegenüberliegende Seite, welche mit Naturtrails gespickt ist. Über graubünden-typische Almwiese schnörkeln sich spielerische Trails in Richtung Tal. Natürlich dürfen für das perfekte Image ein paar grasende Kühe nicht fehlen. Durchaus hübsch für das Auge auf der Weide, jedoch etwas unschön mitten auf dem Weg hinter scharfen Kurven. Dank angepasster und stets vorausschauender Fahrweise kann ich Schlimmeres vermeiden und nach fünfminütiger, telepathischer Diskussion lässt sich die Kuh breitschlagen und macht den Weg frei. Frei für Trailspaß und wer hätte es gedacht, für #fullgasMTB.
Erst als wir zum Apéro halten, bemerken wir den vorhandenen Hunger, welcher sich Kurve um Kurve mehr eingeschlichen hat. Etwas Zeit zum Ankommen, genießen, sich die Gegend erklären lassen, das schöne Wetter und den herrlichen Tag zu zelebrieren. Das „Plättli“ (Bergkäse, Bündnerfleisch) hilft dabei, die Tanks wieder aufzufüllen, die trotz einer Höhenmeterdifferenz im zweistelligen Bereich sich gut geleert anfühlten. Gestärkt rollen die Räder wie von alleine Richtung Tal und Richtung Abend. Irgendwie schleicht sich das Gefühl ein, das heute jeder auf seine Kosten kam.
Rothorn
Obwohl das mit dem Lift erreichbare Trailpotential noch lange nicht ausgereizt ist, machen wir uns am Tag darauf auf zu einer Überquerung. Geprägt durch alpinen Charakter erwarten uns Tragepassagen, ausgesetzte Stellen und beinahe endlose Abfahrten, doch das Beste daran: der Startpunkt ist die Bergstation auf dem Rothorn 2865 , somit sparen wir uns gleich ein paar sehr viele Höhenmeter. Zuerst etwas rumpelig, dann aber vermehrt flowig geht es bergab. Das Schwierigste dabei ist, sich auf den Trail konzentrieren zu können, das atemberaubende Panorama macht es einem schwer.
Jetzt bloß nicht die Abzweigung verpassen. Aber dafür sorgt Remy, der dort schon wartet. Nun geht es – das Rad schiebend oder geschultert – bergauf, schwer atmend schaue ich schon fast paranoid immer wieder auf die umliegenden Berge, irgendwo müssen die tiefenentspannten Steinböcke doch sitzen… und „nein, das ist kein Carbon, verdammt!“ Bemerke aber, dass gar nicht ich gemeint bin und entdecke weiter vorn zwei flachsende Gestalten.
Oben angekommen ist die Anstrengung schnell verflogen und Traileuphorie stellt sich ein, denn jetzt geht es sehr steil und technisch bergab um (siehe Bild Nase) zur finalen Scharte zu gelangen, welche uns die Abfahrt durch das Welschtobel bis nach Arosa ermöglicht. Der Weg führt sehr abwechslungsreich durch alle Vegetationsstufen hinab. Bis er uns auf einem parallel zum Welschtobelbach verlaufenden natürlichen Flowtrail ausspuckt, welcher großes Strahlen auf die Gesichter zaubert. Umso größer die Enttäuschung, dass auch mal eine beinahe endlose Abfahrt zu Ende gehen muss. Daher ja nur beinahe. Jetzt aber erst mal Pizza!
Zum Glück gibt uns die Hörnli-Bahn nach dem Mittag etwas Starthilfe, wegen dem vollen Pizzabauch und überhaupt. Durch den Bikepark rollen wir zufrieden und glücklich zurück nach Lenzerheide. Was für ein Tag!
Flims-Laax
Lange Gesichter. Die Regenwolken sind leider doch noch nicht nach Hause gegangen. Naja, aber wir kennen das ja alle: Das Schlimmste ist das Aufraffen, denn wenn man dann mal unterwegs ist, ist es meist eh ok. Doch das war es nicht, es war nicht ok – sondern richtig gut.
Lediglich die nächsten 15 Meter Trail sind zu erkennen, alles andere verläuft sich in sattem Nebel. Ich komme mir vor wie in einem Computerspiel aus meiner Jugend, bei dem sich die Rennstrecke vor einem aufbaut und links und rechts alles gleich aussieht. Eine surreale Atmosphäre. Der Runcatrail macht seinem Namen alle Ehre, sodass wir von lauter Anliegern, Northshores, Wallrides, Tables, Doubles und Triples nicht genug bekommen können. Erst bei der zweiten Liftfahrt bemerken wir das nicht Vorhandene – die Pfützen. Trotz Regen bildet sich keine einzige Pfütze auf dem Trail, das gibt Grip und das macht Spaß.
Flowtrails fahren macht richtig Laune, das ist nach einem Tag gespickt mit Runca und Never-End Trail klar, doch als es gegen Abend aufreißt und sich ein grandioser Blick auf gezuckerte Gipfel auftut, höre ich von weit her Steinböcke spöttisch lachen. Na wartet, euch bekommen wir.
Gletscher
Am nächsten Tag geht es hoch bis zur weißen Pracht, genauer gesagt bis zum Vorab-Gletscher, denn dort startet unsere Abfahrt. Gletscher schmelzen und hinterlassen Spuren wo sie einst waren. Täler, Schneisen, abgerundete Felsblöcke mit absurd-wellenartigen Formen, fast wie ein…Pumptrack. Was uns jetzt erwartet ist im Prinzip ein riesiger Pumptrack-Spielplatz für Biker. Kuppen, Mulden und Kanten laden zum Herumspielen ein. Einen Trail vom Gletscher weg gibt es eigentlich nicht, stattdessen fährt man Markierungen nach, die sich alle zwei Meter über das Gletschergestein übersähen. Ein Fahrerlebnis der besonderen Art. Nach und nach kehren wir wieder zur Vegetation zurück, doch die Abfahrt bleibt ähnlich und begeistert weiter.
Als wir plötzlich wieder auf dem Runcatrail stehen bemerken wir es erst kaum, denn mit Sicht und Sonne sieht jetzt alles völlig anders aus. Mit gewohnter Routine durch unsere vorherigen Abfahrten genießen wir in vollen Zügen die letzten Tiefenmeter Richtung Laax und in Richtung der Autos, die uns bald wieder in unterschiedliche Richtungen bringen werden.
Die Sicht auf einen Capra Ibex blieb uns leider verwehrt, aber ich könnte schwören, dass Claudio hinter mir gefahren ist. Oder woher kamen sonst die Jubelrufe?