
Nach dicker Luft in Lenzerheide, folgt dünne Luft in Andorra: Das Spektakel in Lenzerheide am vergangenen Wochenende mit dem dramatischen Ende des Herrenrennens wird mit Sicherheit auch eine Woche später beim sechsten Lauf des Cross-Country-Weltcups in Andorra seine Auswirkungen haben. Der Weltcuptross zieht also weiter in die kleine Bergrepublik in den Pyrenäen: Auf 1800 Metern Höhe wird neben schnellen Beinen vor allem auch eine hohe Sauerstofftoleranz vonnöten sein, um vorne mitmischen zu können. Wird Nino Schurter nun zurückschlagen und den lange ersehnten 34. Weltcupsieg einfahren? Und wird Loana Lecomte bei den Damen ihre Siegesserie weiter ausbauen? Fragen, die zum aktuellen Zeitpunkt noch keiner beantworten kann, die jedoch im Vorfeld ausgiebig analysiert werden können. Der Vorbericht zur Hatz in den Bergen von Andorra – auf geht’s!
XC World Cup 2022 – Andorra: Termine und Informationen
Die Pyrenäen-Republik Andorra, genauer der Bergort Vallnord, lädt seit vielen Jahren die besten Mountainbikerinnen und Mountainbiker zu sich ein, um wertvolle Weltcuppunkte oder bereits einmalig auch Weltmeistertitel zu vergeben. 2015 wurden dort die Weltmeisterschaften ausgetragen, mit Pauline Ferrand-Prévot als Siegerin bei den Damen und Nino Schurter als Titelträger bei den Herren. Die Streckencharakteristik des Cross-Country-Rennens, welches weitestgehend auf einer Höhe von über 1.800 Metern über dem Meeresspiegel durchgeführt wird, ist geprägt durch viele natürliche Passagen, die mit Steinen und Wurzeln den Cross-Country-Pilotinnen und -Piloten das Leben besonders schwer machen. Im Vergleich zu den Vorjahren bleibt die Strecke jedoch weitestgehend identisch.

Wesentliche Herausforderung in Andorra ist die Höhe, die mit fast 2.000 Metern besondere Ausmaße annimmt. Die dünne Luft verlangt von den Fahrerinnen und Fahrern alles ab und sorgt jedes Jahr für unerwartete Rennverläufe an der Spitze. Fahrerinnen und Fahrer, die sonst regelmäßig an der Spitze anzutreffen sind, kommen teilweise mit dieser Herausforderung nicht klar. Andere hingegen, die sonst eher im Verfolgerfeld unterwegs sind, können in Andorra auf eine Überraschung hoffen – soweit ihr Körper mit der Höhenluft gut zurechtkommt.
Zeitplan
Freitag, 15.07.2022
- 17:30 Uhr: Short Track, Frauen
- 18:15 Uhr: Short Track, Männer
Sonntag, 17.07.2022
- 8:30 Uhr: Cross-Country, U23-Frauen
- 10:15 Uhr: Cross-Country, U23-Herren
- 12:20 Uhr: Cross-Country, Frauen
- 14:50 Uhr: Cross-Country, Herren
Die Favoritinnen und Favoriten für das Podium
Short Track
10 aus 5 – die Serie unterschiedlicher Siegerinnen und Sieger in der Short Track-Disziplin im Jahr 2022 reißt nicht ab. In Lenzerheide konnten sich die SchwedinJenny Rissveds und der Schweizer Filippo Colombo als Neuzugänge in der Liste der siegreichen Fahrer*innen eintragen, was beide somit auch in Andorra in eine Favoritenrolle hievt. Insbesondere Rissveds dürfte in Andorra als große Favoritin auftreten, so war sie in Lenzerheide im Short Track äußerst dominant unterwegs und schaffte es bereits drei Runden vor Schluss sich abzusetzen. Dass im Short Track jedoch unerwartete Dinge zum Alltag gehören, ist allgemein bekannt: Dementsprechend könnten auch andere Fahrerinnen wie beispielsweise die vier ebenfalls siegreichen Fahrerinnen der Saison 2022 Pauline Ferrand-Prévot, Rebecca McConnell, Jolanda Neff oder Loana Lecomte ganz oben aufs Podium klettern.

Bei den Herren sicherte sich hingegen in Lenzerheide Filippo Colombo mit einem hauchdünnen Vorsprung im Zielsprint den Sieg vor seinem Landsmann Mathias Flückiger und dem Südafrikaner Alan Hatherly. Alle drei dürften auch in Andorra eine wichtige Rolle im Kampf um den Sieg im Short Track spielen, genauso wie der abermals stark auffahrende Luca Schwarzbauer. Der junge Deutsche fuhr ähnlich wie in den Short Track-Rennen in Albstadt und Nove Mesto über weite Strecken des Rennens an der Spitze des Feldes, musste jedoch am Ende die schnelleren Top-Fahrer ziehen lassen. Mit Rang sieben stellte er jedoch einmal mehr unter Beweis, dass er in der Short Track-Disziplin zu den absoluten Top-Fahrern gehört. In Lenzerheide musste er das Trikot des Führenden in der Short Track-Weltcupwertung an Mathias Flückiger abgeben. Kann er es nun wieder zurückerobern?
Damen
Während in der Short Track-Disziplin ein munteres Wechselspiel an der Spitze des Damen- und Herrenfeldes stattfindet, ist in der Cross-Country-Disziplin insbesondere in der Damenkategorie genau das Gegenteil der Fall. Mit Rebecca McConnell und Loana Lecomte konnten sich bis dato lediglich zwei verschiedene Fahrerinnen in die Siegerlisten in dieser Saison eintragen. Nachdem McConnell zu Beginn des Jahres nicht zu bezwingen war und in dominanter Art und Weise von Sieg zu Sieg geeilt war, scheint jetzt bei der Australierin etwas die Luft raus zu sein. In Leogang reichte es für McConnell beim vierten Weltcuprennen der Saison vor etwas mehr als einem Monat nur noch zu Rang sieben, nachdem sie alle drei vorherigen Rennen für sich entscheiden konnte. Und auch in Lenzerheide zeigte die Formkurve bei ihr eher in die falsche Richtung: Mit Rang 14 blieb sie hinter den Erwartungen, die sie mit ihren Erfolgen im Frühjahr schürte.

Eine klar ansteigende Formtendenz lässt sich hingegen bei der Französin Loana Lecomte beobachten, die bei den beiden letzten Weltcuprennen in Leogang und Lenzerheide souverän triumphierte. Erinnerungen werden wach an das Vorjahr, als Lecomte ähnlich wie McConnell in diesem Jahr zu Beginn der Saison von Sieg zu Sieg eilte. Einziger Unterschied: Lecomte scheint ihre Trainingssteuerung verstärkt auf die Ziele zu den Höhepunkten der Saison ausgerichtet haben, die vier Weltcups im Juli und August inklusive der anstehenden Europameisterschaften in München scheinen dafür der ideale Zeitpunkt. Ohne Zweifel steht die junge Französin somit auch in Andorra ganz oben auf der Favoritinnenliste, die Wettquoten auf einen Sieg von Lecomte dürften nach ihrem beeindruckenden Sieg in Lenzerheide noch weiter gesunken sein.

Die größte Konkurrenz von Lecomte dürfte sich vermutlich aus einem Großteil der ärgsten Rivalinnen des Rennens in Lenzerheide zusammensetzen: Jenny Rissveds zeigte sich in der Schweiz in beachtlicher Form und fuhr zum Sieg im Short Track und auf Rang zwei im Cross-Country-Rennen. Auch die Schweizer Meisterin Alessandra Keller kletterte in Lenzerheide doppelt aufs Podium und dürfte in Andorra eine ernstzunehmende Kontrahentin für Lecomte werden. Weitere Kandidatinnen auf den Sieg in den Pyrenäen sind die Andorra-Siegerin aus dem Jahr 2019, Anne Terpstra, die Olympiasiegerin Jolanda Neff und die Europameisterin Pauline Ferrand-Prévot. Die Weltmeisterin Evie Richards wird weiterhin aufgrund von Nachwirkungen einer Corona-Infektion nicht am Start stehen.


Die Riege der deutschen Fahrerinnen dürfte nach einer eher durchwachsenen Bilanz in Lenzerheide mit dem besten Resultat durch Leonie Daubermann auf Position 28. wieder weiter vorne angreifen wollen: Der Fokus richtet sich sowohl bei der deutschen Meisterin Daubermann als auch bei den anderen Fahrerinnen Nadine Rieder, Lia Schrievers und Nina Benz in Richtung Top 20, vielleicht sogar auch Top 15.
Herren
Zeit für die Revanche und den 34. Weltcupsieg! Der Frust nach der verpassten Chance auf die Rekord-Sause vor heimischem Publikum dürfte bei Weltmeister Nino Schurter auch noch eine Woche nach dem Rennen in Lenzerheide tief sitzen. Umso motivierter dürfte der Eidgenosse nun den Angriff auf den 34. Weltcupsieg starten, der ihn als alleiniger Rekordhalter hinsichtlich der Anzahl an gewonnen Weltcuperfolgen in die Geschichtsbücher schreiben würde. In Andorra feierte Schurter bereits einige Erfolge wie beispielsweise den WM-Titel im Jahr 2015, doch ebenso musste er dort auch schon Niederlagen verkraften wie im Jahr 2018 als er dem Italiener Gerhard Kerschbaumer den Vortritt lassen musste.


Die größte Konkurrenz auf dem Weg in die Rekordbücher dürfte wie bereits zuvor sein Landsmann Mathias Flückiger darstellen, der nach dem Sturz mit Schurter in Lenzerheide ebenso motiviert sein dürfte, zu zeigen, dass er aktuell der stärkste Fahrer des Planeten ist. Auch die beiden Nutznießer des Missgeschicks der beiden Schweizer auf den letzten Metern in Lenzerheide, Luca Braidot und Alan Hatherly, gehören ohne Zweifel zum erweiterten Favoritenkreis für das Cross-Country-Rennen in Andorra.
Zusätzlich gilt es ein Auge auf den Rumänen Vlad Dascalu zu achten, der in Lenzerheide durch einen Sturz frühzeitig zurückgeworfen wurde. Dascalu war bis dato einer der konstantesten Fahrer im Spitzenfeld in dieser Saison und möchte mit Sicherheit in Andorra wieder zurück aufs Podium. Für eine Überraschung könnte indes der Italiener Gerhard Kerschbaumer sorgen: Der Andorra-Sieger aus dem Jahr 2018 kämpfte in jüngerer Vergangenheit mit Formproblemen, scheint aber nun immer weiter zu alter Stärke zurückzufinden. In Lenzerheide landete der Südtiroler zum ersten Mal seit langer Zeit in den Top Ten, in der Höhe von Andorra kommt er zudem seit je her prächtig zurecht.

Die große Unbekannte der Höhe dürfte auch im Hinblick auf die Ambitionen der deutschen Fahrer eine erhebliche Rolle spielen. Luca Schwarzbauer zeigte sich in Lenzerheide wiedererstarkt und fuhr sowohl in der Short Track-Disziplin als auch im Cross-Country-Rennen äußerst couragiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Profis war Schwarzbauer im Vorfeld der Rennen in Lenzerheide und Andorra nicht im Höhentrainingslager, sodass die Voraussetzungen vor dem Rennen am Wochenende teilweise ungewiss sind. Der deutsche Meister Max Brandl fällt aufgrund seines Sturzes und des resultierenden Schlüsselbeinbruchs für das Rennen in Andorra aus, die anderen deutschen Top-Fahrer um David List, Julian Schelb, Georg Egger und Co. könnten im besten Fall unter den besten 30 Fahrern landen.

U23
Während in der U23-Klasse der Herren auch in Lenzerheide das Bild an der Spitze zu allen zuvor durchgeführten Rennen in diesem Jahr identisch blieb und Martin Vidaurre bereits den fünften Weltcupsieg bejubeln konnte, zeigten die U23-Damen in der Schweiz ein packendes Rennen, das es in dieser Form in diesem Jahr noch nicht zu sehen gab: Die Dänin Sofie Pedersen ging nach einem häufigen Wechselspiel an der Spitze des Feldes letztlich als Siegerin hervor: Im Zielsprint konnte sie sich gegen die Französin Line Burquier durchsetzen. Die Gesamtweltcupführende blieb somit nach ihren Erfolgen bei den ersten drei Rennen zweimal in Folge nur der zweite Rang, umso mehr wird sie nun in Andorra wieder auf das oberste Siegerpodest zurückkehren wollen. Auch die niederländische Europameisterin Puck Pieterse dürfte abermals ein Wörtchen im Kampf um den Sieg mitreden wollen, in Lenzerheide wurde sie Dritte.

Bei den Herren wird wohl einmal mehr der Sieg nur über den Chilenen Martin Vidaurre gehen, der aktuell in der U23-Klasse keine spürbare Konkurrenz besitzt. Auch in Lenzerheider stürmte Vidaurre spielerisch an die Spitze und fuhr ein einsames Rennen an der Spitze: Der Sieg in Andorra scheint bereits für ihn gebucht zu sein!
Nach dem Drama in der Schweiz vor einer Woche schauen alle gespannt auf das Rennen in Andorra? Können Nino Schurter und Mathias Flückiger zurückschlagen? Was denkt ihr?
Alle Artikel zum XC World Cup in Andorra 2022: