Ohne zu verzögern schießt der Toyota Hilux über das Ende der asphaltierten Straße, ab jetzt geht es auf Schotter weiter. Die Straße ist schon längere Zeit einspurig, aber Sven macht keine Anstalten, langsamer zu fahren. Wer sollte schon entgegenkommen? Ich kann mich schon länger nicht mehr daran erinnern, wie oft wir in welche Richtung abgebogen sind, aber die Straße heißt wie unser Ziel: Wairoa Bikepark.
Eine Stunde von Nelson entfernt liegt hier, im Norden der Südinsel Neuseelands, einer der surrealsten Bikeparks des Planeten; aber noch sind wir nicht da. Zwanzig Kurven, zwei Brücken und drei Wasserdurchfahrten später halten wir hinter ein paar anderen Jeeps an. Auf den Radträgern die aktuelle Kollektion Enduro-Bikes: Santa Cruz, Zerode, Specialized. Zwei Minuten später macht James die Schranke auf, der Konvoi fährt weiter. Nochmal drei Kilometer Schotter, noch eine Wasserdurchfahrt, noch ein elektrisches Rolltor mit Überwachungskameras, dann ein riesiger Parkplatz. Wir laden die Bikes auf den Anhänger des wartenden LKW und finden uns zum Rider-Briefing ein.
Die Regeln sind einfach: Keine Gruppe fährt ohne Walkie-Talkie mit enormer Reichweite, denn Handy-Empfang gibt es in Wairoa Gorge nicht. Auf den Forstwegen zu fahren ist verboten, denn hier sind die Shuttles unterwegs. Im Falle eines Unfalls wird gefunkt, die Bikepark-Crew übernimmt dann vom höchsten Punkt aus die Kommunikation mit der Außenwelt. Damit niemand im Park vergessen wird, kriegt jeder der 32 Anwesenden eine Nummernkarte, die er am Abend wieder zurück gibt. Sollte eine Nummer nicht wieder auftauchen, wird eine Suche eingeleitet. Bevor es losgeht, muss jeder noch einen Haftungausschluss unterschreiben, dann heißt es: Abfahrt.
Ab hier ist klar: Wairoa Gorge ist nicht der durchchnittliche Bikepark. Jamie Nicoll checkt nochmal die Sicherungen an den Rädern des Fahrradanhängers, dann quetscht er sich zu uns auf die Ladefläche des gigantischen 4X4-LKW. Der folgende Anstieg hat nur 5 km, doch dank der steilen Straße machen wir schnell 900 Höhenmeter. Oben angekommen finden wir uns erneut auf einem riesigen Parkplatz, der in Wirklichkeit ein Helikopter-Landeplatz ist. Daneben eine Hütte samt Doppelgarage, Wassertank und Generator. Wir befinden uns hier in einem seit etwas mehr als zwei Jahren öffentlichen Bikepark, der jahrelang privat, jahrelang geheim gewesen war. Einige der Fahrer, mit denen wir heute unterwegs sind, haben selbst an den Trails gebaut, teils jahrelang. Andere haben nicht an diesen Trails gebaut, aber an anderen Orten auf der Welt. Aber alle haben für die gleiche Firma für den gleichen Kunden gebaut. Jamie Nicoll war für ihn in Neuseeland, Mexico und Patagonien beschäftigt. Santa Cruz Marketing-Mann Seb Kemp baute an den Trails in Jamaica, Portugal und Mexiko. Zusätzlich gab es Bauprojekte an der Golden Coast, in British Columbia und auf den Cayman-Inseln.
Baut die besten Singletrails der Welt. Koste es, was es wolle.
Die einfache Mission: Baut die besten Singletrails der Welt. Koste es, was es wolle. Tatsächlich kosteten die Trails ein Vermögen: Allein in Neuseeland waren für 3 Jahre zeitweise 60 Männer beschäftigt, dazu Kosten für Land, Baumaschinerie, neu erstellte Infrastruktur. Den Bauherren dürfte das nicht weiter stören, sein Vermögen soll in den Dollar-Milliarden liegen. Die Trailbauer nennen ihren Auftraggeber einfach nur „The Billionaire“ – und während die Geschichte vom Trails beauftragenden Milliardär mächtig nach Märchen klingt, ist der Lastwagen, in dem ich gerade gefahren bin, so real wie die Typen, die von den Bauarbeiten erzählen.
Die Dimension des Fahrzeugverschleißes? Vollzeit-Automechaniker, eigene Hebebühne.
Die Eckdaten des Bikeparks in Neuseeland sind dann schier unglaublich: Es gibt Helikopter-Landeplätze an strategischen Plätzen, drei verschiedene Lodges mit bis zu 10 Zimmern zur Auswahl und nachdem der Bikepark fertig gestellt war, wurden weiterhin fünf Mitarbeiter in Vollzeit beschäftigt, um die Trails in perfektem Zustand zu halten. Weiterhin stand ein Razor Shuttle-Buggy bereit, falls es für Helikopter-Shuttles zu windig war, dazu diverse Land Cruiser und eine gigantische Werkstatt. Das Bauvorhaben war zeitweise so groß, dass ein Vollzeit-Automechaniker engagiert wurde, der auf der hauseigenen Hebebühne dafür sorgte, dass die Land Cruiser fahrbereit waren. Im Werkzeugraum hängen 20 Satz Schaufeln, Pickel und Rechen an der Wand. Zehn Stihl-Kettensägen und Heckenscheren stehen bereit, ein Raupenbagger, Presslufthämmer, ein paar ATVs.
Das Beeindruckendste aber sind die Trails selbst: Es finden sich 85 km handgebaute Singletrails aller Schwierigkeiten, alle in perfektem Zustand, in einer einmaligen Landschaft aus steilen Felshängen und dem typischen neuseeländischen Regenwald. In diesem Bikepark gibt es keine Bremswellen. Es gibt stattdessen so viele Trails, die so wenig befahren sind, dass sich auf vielen davon die kleinen Blätter der Südbuche finden, die die Locals liebevoll „Cornflakes“ nennen, weil es sich so herrlich hindurchdriften lässt. Die Bedingungen sind fast unabhängig von der Jahreszeit hervorragend, auch heute noch, wo sich „nur“ noch zwei Mitarbeiter in Vollzeit um die Instandhaltung kümmern – auch wenn die Trails maximal drei Tage pro Woche befahren werden. Hier wurden alle Trails gebaut, die man sich ausdenken könnte; auch die, die eigentlich nicht baubar sind. Einer hat den Spitznamen „Concrete Waterfall“, weil das Gelände vor dem Trailbau so steil war, dass man nicht einmal zu Fuß hier hinauf kam. Monatelang wurde an dieser Passage gearbeitet, mit Pickeln und vielen Kilo TNT. Das Ergebnis: Ein Singletrail, der sich steinig, mit engen Kurven und dennoch flowig durch die Steilwand schlängelt. Weil die losen Steine nicht lang genug an Ort und Stelle liegen blieben, wurde die Unterlage mit Zement fixiert. Der Deal für die Trailbauer war einfach: Man konnte entweder nur einmal die 400 Höhenmeter hochgehen, aber nur, wenn man zwei Säcke Zement à 25 kg trug. Die Alternative waren zwei Gänge mit jeweils einem Zementsack …
Über 30° steil und bestehend aus Felsblöcken groß wie Kinosessel.
Andere Trails traversieren elegant und gediegen-anspruchsvoll eine Steinwand, um die jeder vernünftige Trailbauer einen großen Bogen machen würde: Über 30° steil und bestehend aus Felsblöcken groß wie Kinosessel. Die Lösung: wieder monatelange Arbeit und weite, gleichmäßig geneigte Traversen, ein Meisterwerk unter der Leitung von Trailbauer „Priest“, der seine Hand hier einmal unter einem der großen Felsblöcke begrub – in Konsequenz heißt der Trail einfach „Bloody Priest“. Eine Traverse hat jeweils 800 m Länge, wofür Steine zerschmettert und arrangiert wurden, um ein 70 cm breites, gut fahrbares Band zu formen. Warum? Weil es möglich ist, und weil es der Vorliebe des Bauherren für technische Trails entspricht. Als die Bauarbeiten abgeschlossen sind, schweißten die Trailbauer eine Skulptur als Erinnerung: Zwei jeweils über 1 m lange Aale. Die Körper der Aale sind aus den Köpfen von Spitzhacken gemacht, die an beiden Seiten unter der Wucht der Hiebe in den Fels abgebrochen sind. 34 jeweils zweifach abgebrochene Spitzhacken allein für einen Singletrail.
Andere Trails brauchten deutlich weniger Muskelkraft, Maschinen und Sprengstoff, aber mehr Planungsvermögen und ein gutes Auge für das Gelände. Weil das Gelände häufig so steil ist, aber auch einfache Trails gewünscht waren, wurden auch einfache Strecken gebaut. Einfach durch ebenen Untergrund, oder einfach durch ein geringes Gefälle. Und während fast jeder Bikepark der Welt eine Strecke namens „Rollercoaster“ oder ähnlich zu haben scheint, gibt es hier keinen einzigen mit dem Namen. Dafür sorgen diverse Trails für echtes Achterbahn-Erlebnis, weil sich die Kurven und Wellen so elegant aneinanderreihen, dass man sehr natürlich hindurchfliegt. Auf „Bermed As“ sind Steilkurven nicht stumpf links-rechts-links aneinander gereiht, wie in den Alpen und Mittelgebirgen Europas üblich. Stattdessen traversiert man den Hang mit einer Aneinanderreihung von Linkskurven, die durch so hohe Wellen unterbrochen werden, dass man einfach nicht bremsen muss; perfekt, um wirklich in den Kurvenfluss zu kommen und die Arme auf den langen Abfahrten zu schonen. Wieder in einer anderen Ecke gibt es Trails wie “Nigh Nigh’s” (hier hatte sich einer der Trailbauer bei den Bauarbeiten bewusstlos gefahren, daher der Name „Schlaf gut“), die anspruchsvoll sind, ohne gefährlich zu werden. Im Unterschied zu umfunktionierten Wanderwegen ist hier alles zum Fahrradfahren gedacht; plötzliche Löcher oder Abbrüche sucht man also vergebens. Auch diese steilen Trails profitieren davon, wenig gefahren zu werden: Die Wurzeln sind griffig, die Steine fest.
“Gotten Rotten” – während des Baus lag der Geruch von Ziegeninnereien in der Luft.
Insgesamt bietet das Gelände unglaublich viele Trails, die beliebig kombiniert werden können, einfach weil sich die Trailbauer durch nichts aufhalten ließen. Wo die Schlucht zu tief ist, helfen Hängebrücken darüber hinweg. Wo der Flow es will, finden sich North Shore-Rampen mit griffigem Gitterbeschlag. Nirgendwo wird der Fahrer böse überrascht, die Trails haben alle ihren eigenen Charakter, der bereits nach den ersten 100 m klar wird, und behalten ihn dann. Sprünge sind gekennzeichnet, es findet sich immer eine einfache Umfahrung, und man erkennt deutlich, wo die Trailbauer für sich selbst und ihren höheren Speed kleine Varianten gebaut haben. Das Fahrkönnen der Trailbauer ist enorm, und sie haben sich gut darum gekümmert, dass jeder hier Spaß haben kann. Unter ihnen finden sich auch bekannte Namen, wie zum Beispiel Wyn Masters, der sich mit einigen Monaten Trailbau das Geld verdiente, um zu den Rennen reisen zu können. Hinter jedem Trail stecken unzählige Geschichten und harte Arbeit, teilweise aber auch viel Freizeit der Crew: „Free Range“ wurde beispielsweise nie beauftragt, aber die Jungs hatten Zeit und sahen in der Linie viel Potential. „Gotten Rotten“ heißt so, weil Jamie Nicoll hier eine Ziege geschossen hatte, deren Innereien während der Bauarbeiten dann etwas unangenehm rochen. Und neben den 85 km offiziellen Trails mit bis zu 1100 Höhenmetern gibt es noch die inzwischen nicht mehr gepflegten Projekte Wairoa 2 und Wairoa 3, die auf den gegenüberliegenden Hängen nochmals einen ganz anderen Charakter hatten.
Obwohl der Bikepark lange privat war, hat alles einen hochoffiziellen Charakter: Am Traileingang gibt es Informationen zu Schwierigkeit, Länge und Anschlussstrecken. Die Hängebrücken sind mit Informationen zur maximalen Last versehen, Warnhinweise stehen vor schwierigen Passagen, die Vorfahrt an Kreuzungen ist geklärt. Inzwischen kann jeder, der sich ein Shuttle bucht, in den Genuss dieser Trails kommen. Der Bauherr hat die Nutzungsrechte an den Nelson MTB Club übergeben, nachdem er in den insgesamt 4 Jahren nach Fertigstellung nur drei Mal dazu gekommen war, hier zu fahren. Er würde dann mit ein paar Freunden anreisen, die auf der Hütte wartenden Bikes über die perfekt präparierten Trails fahren – aber am Ende war Neuseeland schlicht zu weit entfernt, um wirklich häufig hier zu sein. Aus Bequemlichkeit waren nicht nur Bikes parat, sondern auch identisch aufgebaute Ersatzbikes: ein paar Santa Cruz Nomad mit Rohloff-Schaltung, ein paar Zerode G1-Getriebebikes.
Die Zerode-Bikes stellen, wie auch der Trail „DMT“ (Dodzy Memorial Trail) und eine von Jamie handgeschnitzte Kea-Statue, einen Tribut an einen der Gründer der Trailbaufirma dar: James „Dodzy“ Dodds war es, der damals gemeinsam mit Jeff Carter den Auftrag bekam, Trails zu bauen. Der Milliardär hatte bereits ein Jahr zuvor eine andere Firma beauftragt und trotz großer Investitionen keine Trails erhalten. Als er dann im Urlaub die Trails in Rotorua fuhr, engagierte er einfach die Jungs, die diese Strecken gebaut hatten. Die engagierten wiederum ihre Freunde und beschäftigten zwischenzeitlich 150 Mitarbeiter auf der ganzen Welt. Im September 2012 wurde Dodzy dann bei einem tragischen Jagdunfall von einem guten Freund erschossen. Ab hier gingen die Dinge bergab, und nicht viel später wurden die Bauarbeiten eingestellt und die Trails nur noch in Stand gehalten. Die Trails wurden seitdem nur einmal jährlich im Rahmen des Dodzy Memorial Enduro (DME) befahren – zu dem namhafte Racer teils weit anreisten, um gemeinsam an Dodzy zu erinnern und die legendären Strecken zu befahren. Sam Blenkinsop scheinen die Strecken besonders zu gefallen, er gewann hier schon mehrmals.
Inzwischen stellt der Wairoa George den einzigen wirklich erreichbaren der insgesamt neun Bikeparks dar. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann sich alternativ noch die Dos Lagos Lodge in Chile mieten – zu ihr gehören viele Kilometer feinster Singletrails, ein eigenes Fitnessstudio und ein Helikopter. Die anderen Singletrails im Rest der Welt sind bis auf weiteres privat – aber man darf davon träumen, dass auch sie eines Tages ihre Tore für alle Mountainbiker öffnen. Denn nach drei Tagen im Wairoa Gorge steht für mich fest: Diese Bandbreite an handgebauten Singletrails ist einmalig. Die Kombination aus perfekt präparierten Trails mit Shuttle-Zugang ist ziemlich ungewöhnlich. Dass niemand sonst so einen Bikepark betreibt, ist leider kein Wunder. Denn der Betrieb der Trails ist gerade so kostendeckend: Handgebaute Trails können schließlich nur von Hand gepflegt werden, der Shuttlebetrieb ist auf der extrem steilen, steinigen Strecke mörderisch für den Mitsubishi Juso 4X4: Bremsen, Reifen, Fahrwerk und Antrieb müssen täglich kontrolliert werden. Alle 3.000 km sind die Gummilager im Fahrwerk durch. Alle 5.000 km brauchen Getriebe, Differentiale und Motor eine Revision. Heißt auf Deutsch: Der Betrieb verursacht ziemlich hohe Kosten.
Alle 3.000 km sind die Gummilager des 4X4-LKW durch.
Für dieses exklusive Erlebnis ruft der lokale Mountainbikeverein 99 NZ$ (etwa 60 €) auf – die Geschichten von Urgesteinen wie dem jahrelang hier beschäftigten Dave gibt es gratis obendrauf, zumindest wenn man sich ein wenig in seinen strengen Kiwi-Akzent eingehört hat. Er fährt übrigens eines der letzten bestehenden Rohloff-Nomads und ruft damit in Erinnerung, dass die ganze Geschichte kein Märchen ist …
Kein Märchen: Das Disneyland für Mountainbiker liegt eine Stunde von Nelson entfernt in Neuseeland. Wart ihr schon da oder wollt ihr mal hin?
Der Beitrag Wairoa Gorge in Neuseeland: Im Bikepark eines Milliardärs erschien zuerst auf MTB-News.de.