Wenn man gemeinsam mit Abenteurer Jamie Nicoll und Enduro-Traumpaar Ines Thoma und Max Schumann auf der Südinsel Neuseelands in einen 1992er Land Cruiser einsteigt, muss man sich um das Erlebnis der kommenden Tage keine Sorgen machen – das bewahrheitete sich auch bei diesem Trip zur Old Ghost Road. Hier ist der Spot-Check.
Video
Im Video erzählt Jamie Nicoll die Geschichte hinter der Old Ghost Road – dazu gibt’s einige Impressionen vom Trail, den Vögeln und der Hütte.
Geschichte
Am Anfang der Old Ghost Road steht eine Karte. Die zeigt historische Wege, die aus zwei Richtungen in das Lyell- und das Glasgow-Gebirge geschlagen wurden, um dem Berg Ressourcen abzutrotzen: Auf der Suche nach Gold und Weideplätzen wurden in jahrelanger Knochenarbeit Trassen in die Talflanken geschlagen, auf denen Bergarbeiter und Vieh talaufwärts strebten. Im West Coast Gold Rush der 1860er Jahre war alles möglich: Städte entstanden, Minen wurden gegraben. 1886 wurde bewertet, ob die beiden Goldgräberwege zwischen Mokihinui River und Buller River verbunden werden könnten – doch der abflauende Goldrausch bremste das Vorhaben aus, bevor das Murchison Erdbeben 1929 mit einer Stärke von 7.3 auf der Richter-Skala allen Aktivitäten ein jähes Ende bereitete: Felsblöcke groß wie Einfamilienhäuser lösten sich, gewaltige Erdrutsche ließen viele Passagen der Wege verschwinden. Als 1968 erneut ein Erdbeben der Stärke 7.1 genau hier die Landschaft erschütterte, staute ein gewaltiger Felssturz den Buller River auf über 30 m Höhe auf. Die ohnehin nur dünn besiedelte Gegend wurde aus Angst vor einem Bruch des Damms evakuiert, viele Bewohner kehrten nie zurück. Die Reste der Goldgräber-Wege in den Bergen verkommen zu Geisterpfaden.
Eine historische Karte von 1886, die die Verbindung dieser verlassenen Goldgräberpfade skizziert, ist 2007 der Ausgangspunkt für Steve Stack und Marion Botwright, herauszufinden, was über 80 Jahren nach dem verheerenden Erdbeben noch von den Wegen übrig ist. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Wege waren tatsächlich weniger weit ausgebaut, als die Karte suggeriert. Dennoch gründen die Männer eine Arbeitsgruppe, um den Bau eines Weitwanderwegs voranzutreiben. Der Umweltbeauftragte der ansässigen Kohlemine, selbst begeisterter Mountainbiker, gehört zu den ersten Unterstützern: Der Weg könnte eine gute Gelegenheit sein, Tourismus in der sonst verlassenen Gegend der Insel zu fördern. Gemeinsam mit dem Department of Conservation (staatliche Naturschutzorganisation) wird eine Kostenbewertung erstellt. Brücken, Absicherungen und Bergarbeiten werden auf 4,5 Millionen Euro beziffert – zu viel, um tatsächlich an eine Realisierung glauben zu dürfen. Dennoch fangen zahlreiche Freiwillige damit an, mit Motorsägen, Pickeln und Schaufeln die Weg-Reste wiederherzustellen.
Wirklich Fahrt gewinnt das Projekt Old Ghost Road aber in dem Moment, als es nicht mehr als reiner Wanderweg, sondern als kombinierter Wander- und Mountainbike-Weg geplant wird. Das Vorhaben wird dem New Zealand Cycle Trail Project vorgestellt und erhält tatsächlich umgerechnet 1,2 Millionen Euro Unterstützung. Erst jetzt soll die Route final bestätigt werden, und tatsächlich droht die Unternehmung nochmals zu scheitern: Dem Fluss so lang wie geplant zu folgen ist schlicht nicht möglich. Spontan wird in den Helikopter gestiegen und nicht durchs Tal, sondern entlang der Bergrücken geflogen. Allen Anwesenden ist klar, dass der Wegebau auch hier nicht einfach wird – die einmalige alpine Umgebung aber ein Magnet für Besucher sein dürfte. Der Naturschutz unterstützt die neue Routenführung, weitere Finanzierung kommt aus einem Entwicklungsfond für die Westküste und dem lokalen Energieversorger, der vier Hütten entlang der Route sponsern will. Vier Jahre später, Ende 2015, ist es so weit: Neuseelands längster durchgängiger Singletrail wird eröffnet. Mountainbiker und Wanderer können die 85 km nach Belieben in 1 bis 5 Tagen erleben – eine 130 Jahre früher ausgekundschaftete Route wird Wirklichkeit.
Wir entscheiden uns dafür, die Old Ghost Road in 2 Tagen zu unternehmen. Grundsätzlich kann man den Weg in beiden Richtungen fahren – von Süden nach Norden wird man sich aber erheblich einfacher tun, denn dann sind die technisch einfacheren Passagen bergauf zu fahren, während man die technischeren Abschnitte in der Abfahrt genießen kann.
Tag 1: Lyell – Ghost Lake Hut
Der Weg beginnt bereits nach 20 Metern mit einer Hängebrücke im Regenwald – damit ist der Charakter schon mal vorgegeben. Es folgt ein fantastisch gleichmäßiger, einfach zu fahrender Anstieg, der es erlaubt, den Blick durch den Wald schweifen zu lassen. Flechten und Moose zeugen davon, dass es hier nicht immer trocken ist … das wachsame Auge findet dann tatsächlich – für Neuseeland – uralte Relikte: Bergschuhe, Mauern, Beschläge. Auf diese Weise klettert man entspannt, bis man nach etwa 750 hm die Lyell Saddle Hütte erreicht: Hier könnte man in der Sonne auf der Terasse verweilen und den frechen Wekas zuschauen, wie sie Knieschoner, Reifen und Helm mit ihrem Schnabel überprüfen, ob es sich dabei nicht doch um ein Ei handelt, doch wir wollen noch weiter: Mit immer wieder herrlicher Aussicht klettern wir in Serpentinen durch den lichter werdenden Wald, bis wir durch die Baumgrenze stoßen und erstmals in beinahe alle Richtungen einen uneingeschränkten Blick erhalten: Vom Ozean im Westen bis zu schneebedeckten Bergen im Osten: Natur, so weit das Auge reicht, von Zivilisation zeugt nur der Weg. Handyempfang gibt es quasi nirgendwo, und wenn doch, dann weist ein Schild darauf hin.
Es folgt eine großartige Traverse, die mal links, mal rechts unterhalb des Bergrückens in Richtung Norden mäandert. Die Blicke sind verlockend, doch man sollte sich zurückhalten: Neben dem schmalen Pfad geht es steil in die Tiefe; ein Fahrfehler wäre hier der letzte. Noch einmal preschen wir durch Wald, bevor wir unser heutiges Etappenziel erreichen: Die Ghost Lake Hut auf 1200 m über dem Meer, mit imposanten Blicken und, trotz Spätsommer, frischen Temperaturen. Drinnen ist davon wenig zu spüren, und nachdem hier nur 18 Gäste Platz haben, geht es entspannt und familiär zu.
Die Fenster der Hütte erlauben es den Sonnenuntergang von drinnen zu genießen, da vergeht die Zeit beim Wasser abkochen wie im Flug. Aufgrund des trockenen Sommers ist nämlich fast kein Wasser im Tank, insgesamt geht es wesentlich puristischer zu als in den Palästen, die in den Alpen zu finden sind. Kein Strom, keine Wassertoilette, keine Decken – dafür Einsamkeit und familiäre Stimmung unter den Gästen. Vorteil, wenn man zum Plumpsklo nebenan raus muss: Der in Ermangelung von Licht bombastische Sternenhimmel drängt sich förmlich auf, da könnte man fast vergessen, dass sich die Temperaturen dem Gefrierpunkt nähern.
Tag 2: Ghost Lake Hut – Sedonville
Es braucht keinen Wecker: wer das richtige Bett hat, kann den Sonnenaufgang aus dem Bett erahnen, und dann hält es nur hartgesottene Langschläfer noch im Schlafsack: In der folgenden halben Stunde spielt der Himmel fast die komplette Farbpalette durch, Nebelreste hängen tief unten im Tal.
Schwarztee, Porridge, Bergpapageien auf der Veranda … fast will man einfach hier bleiben und der Natur zuschauend den Tag verbringen, doch wir sollten los: Zwar geht es heute zumeist abwärts, aber mit 55 km gilt es doch einige Strecke unter die Stollen zu bringen. Was folgt, ist schlicht fantastischer Singletrail in zunächst herrlich alpiner Spätsommerwiese, dann erfrischend grünem Regenwald. Wir folgen einem technischen Uphill auf einen weiteren Rücken mit monumentalem Ausblick und stehen nach weiteren herrlichen Kurven am Anfang eines Treppenabstiegs, 219 ungleichmäßige Stufen bergab. Jamie zeigt, dass er aus einem anderen Holz geschnitzt ist und fährt kurzerhand alle 219 Stufen. Max nimmt die Herausforderung an, muss aber doch ein paar Stufen schieben, wir anderen gehen einfach zu Fuß.
Gefühlt ist man an dieser Stelle schon endlos bergab unterwegs, doch tatsächlich hat man noch viele Kilometer sehr flowiger, kurvenreicher Abfahrt vor sich. Immer wieder laden Bachquerungen und Quellen dazu ein, die Trinkflaschen zu füllen, dann schließlich geht es wieder bergauf. In einem Landstrich, der vor 90 Jahren komplett durch einen gewaltigen Rutsch verwüstet wurde, kurven wir nochmals in einen Sattel, bevor es wieder bergab geht. An dieser Stelle ist fahrerisch das Spannendste geschafft, doch noch immer sind es 28 km, die wir unterhaltsam und mit wahnsinnigen Tiefblicken das Tal hinaus fahren. Immer wieder Hängebrücken, die teils sogar notwendig sind, um am Fluss entlang zu kommen. Der Aufwand, der getrieben wurde, um diesen Weg in den Berg zu schlagen, ist enorm – und die letzten 20 km sind erneut uralt, wurden also mit wesentlich rudimentäreren Werkzeugen angelegt, als man es heute wohl angehen würde. Noch ein weiterer fies-steiler, kurzer Anstieg, die letzten Kilometer nochmal dahin flowen und wir stehen auf dem Parkplatz am Ausgang. Den Land Cruiser haben wir vom Start ans Ziel fahren lassen, ein 200 NZ$-Service, auf den es obendrauf noch eine heiße Freiluftdusche in der Rough&Tumble Lodge gibt. Auch auf dieser Veranda könnte man ewig verweilen, allein die Sandfliegen erleichtern den Abschied erheblich.
Old Ghost Road – Infos zum Super-Trail
- 85 km Singletrail
- ca. 2500 hm
- Meist einfacher Trail, über kurze Strecken aber auch technische Up- und Downhills
- Begrenzte Übernachtungsplätze – die Old Ghost Hut liegt für eine 2-Tages-Tour strategisch am besten
- Preis für Übernachtungen: 140 NZ$ (ca. 85 € ohne Verpflegung) – der Preis bleibt gleich, egal ob man 1, 2, 3 oder 4 Nächte auf dem Track verbringt. Hintergrund: Gleicher Preis für Mountainbiker und Wanderer.
- Das Auto kann man sich vom Start ins Ziel fahren lassen. Das ist bequem, aber nicht billig: 175 NZ$ (ca. 105 €)
- Alle Infos inklusive aktuellem Trail-Zustand gibt’s auf https://oldghostroad.org.nz
Gibt es unter euch jemanden, der die Old Ghost Road auch schonmal befahren ist?
Hinweis: Jamie Nicoll war so freundlich, unserem Autor Stefanus ein Fahrrad zu leihen. Der Old Ghost Road/Mokihinui-Lyell Backcountry Trust hat die Kosten für unsere Hütten-Übernachtung übernommen.
Der Beitrag Zwei Tage Trailgold und Geschichte: Old Ghost Road in Neuseeland erschien zuerst auf MTB-News.de.