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Interview: Christian Gemperlein von bike ahead composites

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Christian Gemperlein ist einer der Köpfe hinter der kleinen Carbon-Schmiede bike ahead composites aus Veitshöchheim in der Nähe von Würzburg. Nachdem wir im Rahmen unserer Artikelserie Vorgestellt! den THEflatbar und die THEseatpost aus seinem Haus in der Praxis auf die Faser gefühlt haben, sprechen wir im Interview mit ihm über den Hintergrund der Firma, die Auslegung von Kohlefaser-Komponenten und die Dinge, die er schon immer einmal aus Carbon fertigen wollte.

bike ahead components bietet edle und leichte Carbon-Komponenten an
# bike ahead components bietet edle und leichte Carbon-Komponenten an - und zwar Made in Germany! Christian Gemperlein, einer der beiden Köpfe hinter der kleinen Firma, stand für unser Interview Rede und Antwort.

MTB-News.de: Hallo Christian! Schön, dass du Zeit hast für unser Interview rund um die schwarze Faser, die unsere Industrie nachhaltig verändert hat und nach wie vor begeistert. Seit wann gibt es bike ahead composites und wofür steht ihr?

Christian Gemperlein: Hallo IBC! Ich habe nach Beendigung meines Studiums 2010 mit der Firmengründung begonnen. In meiner Diplomarbeit habe ich das 6-Speichen-Monocoque-Laufrad von der Idee zum ersten Prototypen entwickelt. Die Selbstständigkeit hat mich schon immer gereizt und das Potenzial bei dem Carbon-Laufrad erschien mir so groß, dass ich auf Basis dessen ein-EXIST Gründerstipendium beantragt und glücklicherweise auch bekommen habe. Dadurch konnte ich 2011 die GmbH gründen konnte. Ziel der Firma soll sein, dass wir Faserverbundbauteile entwickeln und herstellen, die das gewisse „Etwas“ haben. Also etwas Innovatives, was andere so nicht haben – Teile, die etwas leichter und haltbarer sind. Oder Teile, die etwas schwieriger herzustellen sind und wir unser ganzes Know-How einsetzen müssen.

Zeichnung BiTurbo RS
# Zeichnung BiTurbo RS

Wie werden eure Komponenten getestet und wie werden die angesetzten Lastfälle abgeleitet?

Wir testen sehr viel bei uns im Haus. Das hilft uns bei der Entwicklung, spart Zeit und Kosten. Was aber viel wichtiger ist: Wir lernen die Teile und vielleicht Schwachstellen viel besser kennen. Gerade beim Leichtbau musst du wissen, wo welche Lagen mit welcher Orientierung gebraucht werden. Lastfälle sind natürlich auch sehr wichtig: Je genauer man die kennt, desto besser. Allerdings ist es im Fahrradbereich leider so, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht und zum Beispiel die Erkenntnisse aus Feldtests wie den heiligen Gral hütet. Ich finde, man sollte hier offener denken und eine Art Open Source-Plattform haben, wo sich die „schlauen Köpfe“ austauschen. Ich bin mir sicher, dass davon alle profitieren und keiner einen Nachteil hätte. Aber soweit wird es leider wahrscheinlich nie kommen!

Man kann mit dem Werkstoff Carbon tolle Sachen machen. Legen wir los!

Carbon gilt als ausgesprochen steife Faser, doch unsere Tests zeigen, dass ein Fahrrad als System auch zu steif sein kann. Wie berücksichtigt ihr Steifigkeitsanforderungen in der Entwicklung und inwieweit erzeugt ihr ein spezielles Steifigkeitsprofil bei euren Komponenten?

Man muss auch sehen, dass es verschiedene Kohlefaserarten gibt: Sehr steife mit einem spröden Bruchverhalten und „Standardfasern“ mit höheren Bruchdehnungen und niedrigerer Steifigkeit. Was aber die Steifigkeit viel mehr beeinflusst als die reine Faser oder das Material an sich ist die Geometrie beziehungsweise der Querschnitt des Hohlkammerbauteils. Ein voluminöses Teil kann auch mit Standardfasern enorm steif sein und ein dünner Querschnitt mit steifen Fasern flexibel. Carbon hat jedoch durch seine hohe spezifische Festigkeit beispielsweise den Vorteil, Rahmen mit großen Volumina und geringem Gewicht zu ermöglichen, was dann auch zu einer hohen Steifigkeit führt.

Carbon ist eigentlich ein toller Werkstoff für dauerhaltbare Bauteile, die dynamischen Belastungen ausgesetzt sind, wozu selbstverständlich Fahrradteile gehören. Denn im Gegensatz zu Metallen ermüdet ein gut gefertigtes Carbonteil deutlich langsamer. Diese exzellente Dauerschwingfestigkeit bedeutet, dass man einen leichten Carbonlenker einige Jahre fahren kann. Bei einem leichten Aluteil würde ich das nicht empfehlen. Natürlich hat Carbon Schwächen beim Crashverhalten. Der Werkstoff hat große Möglichkeiten, aber auch Grenzen. Wir wollen mit unseren Produkten aber die Grenzen etwas minimieren – zum Beispiel durch einen Mix mit Carbon und einem anderen Material.

Detail BiTurbo RS
# Detail BiTurbo RS
THE flatbar
# THE flatbar
THE seatpost
# THE seatpost

Was macht ein gutes Carbon-Teil aus? Wie unterscheiden sich verschiedene Eigenschaften basierend auf den verwendeten Fasern und oder Harzen?

Ein gutes Carbonteil nur von der Haptik und Optik zu qualifizieren ist auch für den Experten nicht möglich. Mit viel Schleifarbeit, Fleiß und Lack bekommt man fast jedes Teil top hin. Auch Fasern und Harz sind kein Qualitätsmerkmal. Oftmals werden High Modulus-Fasern oder Nanoharz als Qualitätsmerkmal im Marketing herausgestellt. Das macht aber nicht automatisch ein gutes Bauteil. Manche Fahrradhersteller haben auch eigene Fasern entwickelt. Das sollte man nicht glauben! Das Marketing im Fahrradbereich ist oftmals um einiges mächtiger als die technische Kompetenz dahinter. Der Schlüssel zu einem guten Carbonteil ist der gesamte Herstellungsprozess eines Bauteils: Vom Zuschnitt über das Laminieren und Aushärteprozess oder Herstellungsverfahren bis hin zur Nacharbeit. Das muss man im Griff haben. Und da wird es schwierig für den Endverbraucher, denn wie soll der das beurteilen …

Durch die eigene Produktion haben wir auch einen Vorteil gegenüber den Firmen, die in Asien „fertigen“, also bei einem Hersteller einkaufen und ihr Label drauf machen: Wir haben die Qualität in den eigenen Händen.

Was ist bei der Montage eurer Komponenten zu beachten?

Bei der Montage ist insbesondere die Einhaltung der maximalen Drehmomente zu beachten – speziell in den Klemmbereichen wie Sattelstütze zu Rahmen oder Lenker zu Vorbau. Das gilt allerdings nicht nur bei unseren Produkten, sondern bei allen Carbon-Komponenten. Faserverbundteile reagieren sensibel auf Kräfte quer zur Faserrichtung bzw. in Dickenrichtung des Laminates (Aufbau der einzelnen Carbonlagen) und das ist bei Klemmungen eigentlich immer der Fall. Klemmkräfte greifen meist auch nicht über den kompletten Umfang gleichmässig. Dadurch entstehen lokale Kraftspitzen.

Um die Klemmkräfte zu reduzieren und die Kräfte schöner einzuleiten haben wir unsere patentierte NSA-Technologie (no-slip-application) entwickelt. Wir laminieren in den Klemmbereichen eine spezielle Gummischicht in das Bauteil, welche die Reibung erhöht, die nötigen Drehmomente reduziert und Kräfte schöner in das Carbon einleitet. Positiver Effekt der NSA ist auch, dass man keine Montagepaste mehr braucht und „Knackgeräusche“ deutlich reduziert oder eliminiert werden.

Wo werden eure Produkte gefertigt?

Unsere Philosophie ist es, Produkte von der Idee (oder Idee eines Kunden) bis zur Serie in-house zu haben. In Eurem Hausbesuch vor ein paar Jahren kann man gut sehen, dass wir alles selber machen. Es wird auch in Zukunft keine Billiglinie aus asiatischer Produktion von uns geben. Durch die eigene Produktion haben wir auch einen Vorteil gegenüber den Firmen, die in Asien „fertigen“, also bei einem Hersteller einkaufen und ihr Label drauf machen: Wir haben die Qualität in den eigenen Händen. Dafür gibt es für uns aber leider auch keine Ausreden …

Ein besonderes Feature der bike ahead composites-Komponenten ist die patentierte NSA-Technologie
# Ein besonderes Feature der bike ahead composites-Komponenten ist die patentierte NSA-Technologie - die Gummierung in den Klemmbereichen sorgt für eine erhöhte Haftung bei niedriger Klemmkraft.

Viele Biker fragen sich, ob sie zum Beispiel nach einem Sturz ihren Lenker noch fahren können. Was ratet ihr den Kunden? Wie kann ich feststellen, ob meine Carbon-Komponente beschädigt ist?

Das ist eine schwierige Frage und leider gibt es darauf keine einfache Antwort. Der Lenker ist leider bei einem Sturz oft das erste Teil, welches in den Boden oder den Baum einschlägt. Allerdings sind Carbon-Teile auch nicht so fragil, dass man sie bei einem kleineren Sturz gleich austauschen müsste. Bei einem heftigen Crash würde ich aber generell dazu raten.

Das Marketing im Fahrradbereich ist oftmals um einiges mächtiger als die technische Kompetenz dahinter.

Gibt es ein Design, das ihr schon lange einmal aus Carbon ausführen wolltet, das komplett anders aussieht als das, was wir gemeinhin in der Industrie kennen?

Oh ja, auf jeden Fall! Als Ende der 80er der Werkstoff Carbon von der Fahrradbranche entdeckt wurde, galt er als das Wundermaterial, mit dem man jegliche Form und Konstruktion umsetzen kann. Das hat man dann ja auch exzessiv gemacht. Leider hat man das Material damals oft nicht richtig verstanden und verarbeitet, sodass die Teile technisch nicht das gehalten haben, was der Kunde erwartete. Bei unseren 6-Speichen-Carbonlaufrädern machen wir eigentlich auch etwas „Anderes“, das polarisiert. Technisch gesehen kann man gegen die Konstruktion jedoch in meinen Augen nicht viel sagen, denn wir sind mit die leichtesten am Markt, vom Steifigkeit-Gewicht-Verhältnis unerreicht und haltbar. Der momentane Markt würde so ein Produkt – natürlich zu einem deutlich niedrigeren Preis – aber wahrscheinlich erst dann voll akzeptieren, wenn ein großer Komponentenhersteller so ein Produkt mit voller Marketingpower pusht. Man kann mit dem Werkstoff Carbon tolle Sachen machen. Legen wir los!


Weitere Informationen

Homepage: www.bike ahead composites.de
Interview & Redaktion: Tobias Stahl | MTB-News.de 2017
Bilder: Tobias Stahl, bike ahead composites


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