Heute geht es für Nathalie und Michi auf die Königsetappe des Singletrack6 Etappenrennens. Auf den Trails um Nelson haben die beiden mit Defekten zu kämpfen. Aber lest selbst:
Wir sind müde. Als uns der Wecker um 5:30 Uhr aus dem Tiefschlaf reißt, möchte ich nichts lieber als mich einfach nochmal umdrehen und weiterschlafen. Die Vorstellung, dass wir noch weitere drei weitere Tage Rennen fahren und erst die Hälfte des Rennens geschafft haben, hilft auch nicht gerade beim Aufstehen.
Heute zügelt das Singletrack6 Rennen an einen neuen Ort: Nelson. Eine Autostunde nördlich von Rossland gelegen, ist Nelson bekannt als Hippie Stadt am See Kootenay. Wir machen uns nach dem Frühstück auf den Weg, vorbei an imposanten Anlagen von Zink- und Blei-Minen und dem Waneta Staudamm.
Heute wartet die Königsetappe und sogar der immer-motivierte Michi meint, ein Tag am See wäre doch heute auch ganz schön.
Beim Briefing gestern Abend hat sich der Veranstalter entschuldigt, dass es heute zu Beginn viel Asphalt und Kiesstrasse geben würde. Grund dafür: Sie konnten keinen Ort näher an den Trails finden, der genug Parkplätze für alle Rennfahrer hat. Das heisst für uns: 3 Kilometer Asphalt und 8 Kilometer Kiesstrasse.
Verglichen mit Rennen bei uns in Europa, muss man darüber fast lachen. Kiesstrassen Aufstiege sind bei uns doch für viele der Inbegriff von Mountainbiken. Für mich heißt dies jedoch: Richtig in den Lenker beissen. Lange Steigungen bewältige ich viel lieber auf Singletrail. Da ist mein Hirn beschäftigt mit Fahrtechnik und viel weniger mit den müden Beinen und der brennenden Lunge.
Michi ist zum Glück ein ähnlicher Fahrertyp wie ich und so leiden wir am Start zusammen. Er noch etwas mehr als ich, aber nachdem er bei Kilometer fünf schon eine Pipi Pause einlegt, läuft’s plötzlich viel besser.
Wir klettern und klettern und klettern und zwingen uns trotz der Hitze ein Gel runter zu würgen. Zwei Stunden später erreichen wir endlich den höchsten Punkt der Steigung. Ich freue mich, dass wir nun endlich die Kletterziege wieder wegpacken und die Abfahrt in Angriff nehmen können.
Doch die Freude sollte nur kurzer Natur sein. Wenige Minuten später ruft Michi von Hinten, dass sein Bike komische Geräusche macht. Ich rufe zurück, dass ich mir dies bei der nächsten Essensstation anschaue werde und rase weiter. Doch kurz darauf ruft er wieder, dieses Mal energischer und fast etwas verzweifelt. Ich halte an, schaue mir die Misere an und denke nur: „Ach du fetter shizzle!“ Michi hat tatsächlich beide Schrauben verloren, die seinen Umwerfer am Rahmen festmachen. Das Ding hängt nur noch am elektronischen Kabel und an pedalieren ist mit Sicherheit nicht mehr zu denken. Nach einer halben Sekunde Panikattacke, setzt bei mit der Überlebensmodus ein und ich kann wieder klar denken. Tape und Kabelbinder müssen her. Tape habe ich dabei, Kabelbinder eigentlich auch, aber die müssen mir bei einer der Feedzones aus der Hüfttasche gefallen sein. So tape ich den Umwerfer so gut wie möglich an den Rahmen und lasse Michi bis zur nächsten Feedzone so weiterfahren – zum Glück sind es nur fünf Kilometer. In der Feedzone hat dann eine gute Fee, also eine der freiwilligen Helferinnen, Kabelbinder für uns und rettet so unseren Tag. Michi kann ab jetzt vorne zwar nicht mehr in die grosse Scheibe schalten, aber hey: Die Karre läuft wieder und ich fühle mich wie McGyver!
Michi muss bei seinem Defekt ein Testosteron oder Adrenalin Schub erhalten haben. Der Typ tritt wie wild in die Pedale und ich komm fast nicht mehr hinterher. Zum Glück kann er ja nicht mehr in die grosse Scheibe schalten, so kann ich zumindest in den schnellen Passagen etwas ausruhen.
Als wir in die letzte Abfahrt des Tages einbiegen, rufe ich dem Bruderherz noch zu: „Genieß es Junge!“ Zwei Sekunden später explodiert mein Vorderrad Reifen und der Spaß ist zu Ende. Was mir den Reifen aufgeschlitzt hat, weiss ich nicht. Aber was ich mit Sicherheit weiss: Ich hatte mega Glück, dass ich bei dem Knall nicht zu Sturz gekommen bin. Ich bin wütend, sehr wütend. Aber für einmal haben wir Glück heute und zumindest die Felge ist noch ganz.
Michis Bike geht jetzt zum Velodoktor, damit es morgen wieder fit und munter an der Startlinie steht – und wir gehen futtern. Wir ziehen uns um, waschen nicht mal das Gesicht und stürzen uns in Nelson in den nächsten Coffeeshop. Dass ich noch von Kopf bis Fuss schmutzig bin, ist mir gerade ziemlich egal. Ich brauche jetzt: Essen, ein Süßgetränk, bisschen plantschen im See, ein weiteres Süssgetränk, mehr Essen und dann bin ich wieder happy.
Zwei Tage geht das Rennen jetzt noch. In meinem Hirn heisst das: 2/3 sind durch. Da müssten doch die letzten zwei Tage auch noch zu schaffen sein. Wir haben heute viel Zeit verloren, liegen in der Gesamtwertung aber noch immer ganz knapp auf Rang drei. Morgen ziehen wir wieder in den Kampf, bei Hitze und viel Sonnenschein.
Alle Artikel zum Singletrack6-Abenteuer von Nathalie:
- Nathalie beim Singletrack6 Etappen-Rennen: Tag 0 – Der Roadtrip vor dem Sturm
- Nathalie beim Singletrack6: Tag 1 – Nervenflattern im wilden Westen
- Nathalie beim Singletrack6: Tag 2 – Lycra ist schnell!
- Nathalie beim Singletrack6: Tag 3 – 7 Summits & der neue Lieblingstrail
- Nathalie beim Singletrack6: Tag 4 – Defekthexe auf der Königsetappe
- Nathalie beim Singletrack6: Tag 5 – Viel Rauch, aber nicht in Rauch aufgegangen!
Über unsere Gast-Bloggerin
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country- Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country- Weltcup in Champéry. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Seit Herbst 2016 ist sie Messeverantwortliche im Organisationsteam der Bike Days in Solothurn und des Urban Bike Festival in Zürich.