Auch im vergangenen Monat war wieder ganz schön viel los in der Fahrrad-Industrie: Troy Lee Designs hat den Besitzer gewechselt, so manch ein Pirelli-Reifen wird schon jetzt in Italien hergestellt und die Coronapandemie bringt die Industrie in Fernost etwas aus dem Tritt. Hier sind die Branchen-News im Bike Biz Backstage.
Deutscher Fahrradmarkt stagniert auf hohem Niveau
Die Nachfrage nach Fahrrädern und Pedelecs war 2021 ungebrochen hoch. Zugleich wurde die Versorgung mit Handelsware durch verschiedene Faktoren ausgebremst: Der Mangel an Halbleitern und Chips führt zu einer Knappheit von Akkus für Pedelecs, und die Produktion vieler Hersteller in Fernost ist auf zwei Jahre hinaus komplett ausgelastet. Dazu kommen anhaltende Probleme mit der Seefracht. Dies erklärt denn auch, warum die vom Zweirad Industrie Verband (ZIV) erhobenen Daten zum Fahrradmarkt Deutschland für 2021 eine Stagnation auf hohem Niveau ausweisen: Die Rekordvorgabe aus dem Vorjahr von 5,04 Millionen verkauften Fahrrädern und Pedelecs konnte nicht erreicht werden. Die 4,7 Millionen abgesetzten Einheiten bedeuten eine Abnahme von 7 Prozent.
Für diese Abnahme zeichneten jedoch ausschließlich konventionelle Fahrräder verantwortlich, deren Absatz um 13 Prozent auf 2,7 Millionen Stück zurückging. Dagegen stiegen die Verkäufe von Pedelecs nochmals um 3 Prozent auf 2 Millionen Stück – womit deren Marktanteil auf 43 Prozent stieg. Als Folge dieses nochmals höheren Marktanteils stieg auch der Durchschnittswert der verkauften Fahrräder und Pedelecs im Vergleich zum Vorjahr nochmals um 9 Prozent auf 1.395 Euro. Ein spannender Befund der ZIV-Marktdaten ist, dass der Fachhandel wie schon im Vorjahr Marktanteile zurückzugewinnen vermochte und 2021 bei 73 Prozent lag, während 20 Prozent auf Online-Vertriebskanäle entfielen.
Auch die Produktion im Inland legte laut ZIV im vergangenen Jahr zu: In Deutschland stieg die Fertigung von Pedelecs 2021 um 9 Prozent auf 1,43 Millionen Stück und bei konventionellen Rädern um 13,2 Prozent auf 0.94 Millionen Einheiten. Mit insgesamt 1,56 Millionen Stück blieb der Export praktisch unverändert, während die Importe trotz des leicht geschrumpften Markts um 11 Prozent auf 4,14 Millionen Fahrräder und Pedelecs anstiegen. Die Diskrepanz zwischen leicht schrumpfendem Markt, konstanten Exporten und höheren Importen erklärt der ZIV damit, dass Marktakteure ihre leeren Lager wieder aufgefüllt hätten.
Komplette Präsentation der Marktdaten vom ZIV gibt es hier in der PDF.
Omicron bringt Industrie in Fernost außer Tritt
Die Taipei Cycle Show ging Anfang März als Publikumsmesse, aber wegen strenger Quarantäne-Auflagen weitgehend ohne Besucher aus Übersee über die Bühne und zog an vier Tagen 13.500 Besucher an. Dagegen musste die Organisatoren die für Anfang Mai geplante China Cycle Show auf unbestimmte Zeit verschieben. Denn die Metropole Shanghai, wo die Messe hätte stattfinden sollen, steht zurzeit unter einem strikten Lockdown – und es ist vollkommen unklar, wie lange dieser aufrecht gehalten wird. Das Messegelände wird zurzeit als riesige Quarantänestation mit 7000 Betten genutzt.
Der Lockdown von Shanghai dürfte auch für die Lieferketten der Fahrradindustrie zum Problem werden: Diese verfügt im Hinterland von Shanghai, in der Region Kunshan und rund um die Stadt Suzhou über viele Fabriken. Wegen der strikten Maßnahmen gegen die Pandemie werden diese in den kommenden Wochen nicht auf voller Kapazität produzieren können. Prompt sackte der sogenannte PMI-Index (Purchasing Managers Index), der die Zuversicht der Einkäufer über verschiedene Industriesektoren hinweg zeigt, in China so stark ab wie nicht mehr seit Februar 2020.
Zudem sorgen die Lockdowns für weitere Rückstaus bei der Seefracht – sei es, weil Personal zum Be- oder Entladen von Containerschiffen fehlt oder weil LKW-Fahrer wegen drohender Quarantäne Gebiete nicht mehr ansteuern, die unter Quarantäne stehen. Ein Blick auf die Website Vesselfinder, die weltweit den kommerziellen Schiffsverkehr verfolgt, zeigt in der Region Shanghai und vor dem Hafen Ningbo-Zhoushan eine große Anzahl Schiffe, die auf Abfertigung warten. Dieser Rückstau sorgt nicht nur für Verzögerungen, sondern hält auch die Transportkosten hoch.
Weitere Branchengrößen publizieren Jahresbilanzen
In den vergangenen Wochen veröffentlichten weitere Schwergewichte der Branche ihre Zahlen für das vergangene Jahr. Allen voran die Giant Group als der nach Umsatz größte Fahrradproduzent der Welt. Die Taiwaner vermochten 2021 ihren Umsatz nochmals um 17 Prozent auf 2,62 Milliarden Euro zu steigern, während der Reingewinn um 19,8 Prozent auf 193 Millionen Euro anstieg. Giant verweist im Jahresbericht auf die anhaltend hohe Nachfrage nach Alltagsrädern wie sportlichen Modellen in Schlüsselmärkten wie Europa und Nordamerika. Und Taiwans Nummer Eins profitierte auch von Investitionen, etwa in das Montagewerk im ungarischen Gyöngyös. Dadurch konnte Giant einige logistische Probleme umgehen oder doch zumindest stark abfedern. Dennoch fielen die Zahlen für das vierte Quartal schwächer aus, was Giant mit höheren Kosten für Rohstoffe wie Transporte begründet.
Mit der Übernahme des niederländischen Traditionsherstellers Gazelle begann 2012 das Engagement von PON Holdings in der Fahrradbranche. Es folgten die Übernahmen der Derby Group sowie von BBB, Cervélo und Santa Cruz – und zuletzt von Dorel Sports inklusive Marken wie Cannondale, GT, Mongoose und Schwinn. Da diese erst nach dem Jahreswechsel realisiert wurde, hat sie auf die Jahresbilanz für 2021 noch keinen Einfluss. Während PON Holdings den Umsatz um 11 Prozent auf 8,1 Milliarden Euro zu steigern vermochte, legte PON.Bike um 14 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro zu. Für 2022 dürfte dieser Umsatz auf rund 2,5 Milliarden Euro steigen, denn Dorel Sports meldet für 2021 eine Umsatzsteigerung um 12.5 Prozent auf 1.08 Milliarden Euro. Und zudem erhöht sich dank dem Anfang März eröffneten, neuen Kalkhoff-Werk in Emstek bei Cloppenburg die Produktionskapazität.
Die Accell Group sorgte zuletzt vor allem mit einem Übernahmeangebot durch eine Investorengruppe für Schlagzeilen. Im Vergleich zu manchen Mitbewerbern erscheint das Jahresergebnis wenig spektakulär: Der Umsatz stieg im 6.2 Prozent auf 1.36 Milliarden Euro, während der Gewinn vor Steuern einen Sprung um 47.25 Prozent auf 108.6 Millionen Euro machte. Je nach Region wirtschaftete die Accell Group aber unterschiedlich stark: Während der mit Fahrrädern und Pedelecs erzielte Umsatz in der Benelux-Region um 17,2 Prozent zulegte und derjenige der Teile-Sparte um 14,2 Prozent, resultierte in der DACH-Region nur ein Plus von 1,1 Prozent und in Skandinavien, Großbritannien und Frankreich gar ein Minus von 5 Prozent. Dies begründet die Accell Group mit der schlechten Verfügbarkeit sportlicher Modelle.
Noch spielt Pierer Mobility in einer kleineren Liga als Giant, Accell und PON. Die Österreicher sind aber ambitioniert und im Zweirad-Sektor mit Motorrädern, Pedelecs und Fahrrädern sehr breit aufgestellt. Das gilt nach der Übernahme von Felt noch stärker als ohnehin schon. Im vergangenen Jahr produzierte Pierer Mobility nach eigenen Angaben erstmals mehr als 100.000 Fahrräder und Pedelecs – 76.916 Pedelecs und 25.837 konventionelle Fahrräder. Das bedeutet bei den Pedelecs ein Wachstum von 37 Prozent und bei den konventionellen Fahrrädern ein Plus von 50 Prozent. Der Gesamtumsatz von Pierer Mobility, zu dem auch die Motorräder von KTM, Husqvarna und Gas Gas beitragen, wuchs 2021 um 33 Prozent auf 2,041 Milliarden Euro. Leider geben die Österreicher keinen Aufschluss darüber, welcher Anteil dieses Umsatzes auf Pedelecs und Fahrräder entfällt.
Pirelli investiert in „Made in Italy“
Zum 150. Geburtstag besinnt sich der Reifenhersteller Pirelli auf seine Wurzeln: Im Mailänder Vorort Bollate, unweit vom Hauptsitz des Konzerns, wird aktuell eine 1962 eröffnete Fabrik rundum erneuert. Die modernisierte Fassade und großzügige Grünflächen rund um das Werksareal werten die Umgebung auf. Doch dabei bleibt es nicht, denn Pirelli wird an diesem Standort bis Anfang 2023 eine Reihe von Fertigungslinien mit innovativen Produktionsprozessen einrichten, die sich bereits bei der Fertigung von Autoreifen bewährt haben. In Bollate sollen aber hochwertige Fahrradreifen produziert werden. Als Erstes verlassen bereits dieses Frühjahr neue Ganzjahres-Rennradreifen des Typs „P Zero Race 4S“ das Werk in Bollate, und diese Reifen sind in der Tat „Made in Italy“.
Stromer bekommt eine Schwestermarke
Als Naxicap Partners im Mai 2021 bei der myStromer AG als neuer Mehrheitseigentümer einstieg, machten die Investoren klar: Sie hatten weiter reichende Pläne im Bereich smarter Mikromobilität. Nun zeigen sich diese Ambitionen erstmals konkret, denn der erst 2017 gegründete, spanische Pedelec-Hersteller Desiknio schlüpft unter das myStromer-Dach. Dabei operiert Desiknio weiterhin als eigenständiges Unternehmen unter Führung seines Gründers Joaquin Cortes. Mit diesem Zukauf erweitert der Spezialist für schnelle Premium-Pedelecs der Marke Stromer sein Portfolio um leichte, durchgestylte Pedelecs für den Stadtverkehr. Denn Desiknio kombiniert klassische Aluminium-Rahmen mit dem leichten Nabenmotor von Mahle und einem 250-Wh-Akku im Unterrohr. In einem ersten Schritt werden die Pedelecs von Desiknio über das Stromer-Vertriebsnetz angeboten. Mittelfristig verspricht sich myStromer auch Vorteile in den Bereichen Entwicklung und Zulieferkette.
Troy Lee Designs wechselt ebenso den Besitzer…
Mit grellen Farbkontrasten, Motiven wie Federn, Augäpfeln und Totenköpfen und Brendan Fairclough, Cam Zink und Troy Brosnan als Aushängeschildern ist Troy Lee Designs zu einer Ikone in den Bereichen Motocross, Downhill und Freeride geworden. Nun hat der bisherige Eigentümer SBJ die Marke an den Motorrad- und Outdoor-Ausrüster 2Ride Group verkauft, hinter dem die französische Beteiligungsgesellschaft Eurazeo steht. Die Franzosen waren 2018 bei der 2Ride Group eingestiegen und haben seither die im Motorrad-Segment aktiven Marken Shark und Nolan sowie den Forschungs- und Entwicklungsdienstleiser Ci.Erre.E übernommen. Troy Lee selbst und das von Jason Steris geleitete Managementteam werden auch in Zukunft voll in die zukünftigen Entwicklungen der Gruppe beteiligt bleiben.
… wie Mitbewerber Dainese
Nach sieben Jahren unter Kontrolle von Investcorp, unter deren Dach mit POC auch ein Mitbewerber operiert, wechselt Dainese den Besitzer. Und das für einen ansehnlichen Betrag: Die Mehrheitsbeteiligung am italienischen Hersteller von Helmen und Schutzbekleidung für Schnee-, Motor- und Radsport ist dem US-Beteiligungsunternehmen Carlysle satte 630 Millionen Euro wert. Investcorp hatte dafür Ende 2014 noch 130 Millionen Euro bezahlt, also ziemlich genau ein Fünftel. Aber seitdem konnte der Jahresumsatz auch auf 250 Millionen Euro verdoppelt werden. Carlysle sieht für die Marke Dainese vor allem in Nordamerika und China noch viel Wachstumspotenzial.
Mehr Bike Biz Backstage gibt es hier:
- Bike Biz Backstage – März 2022: Shanghaier Lockdown, Troy Lee Designs und Pirelli made in Italy
- Bike Biz Backstage – MONAT JAHR: Überschrift
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