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Nach der letztjährigen Ausgabe der 24h von Duisburg – mit einem Fatbike – wusste ich bekanntlich nicht mehr so ganz genau, ob ich Männlein oder Weiblein war. Die daraus resultierende Ankündigung 2016 „mixed solo“ zu fahren wurde sofort von einer erfahrenen Solistin beim Wort genommen. Header: Multiresistente Radfahrerin sucht Mann! Jana Kalbertodt will mit mir auf einem Tandem in Duisburg starten. Vom zelebrierten Unsinn zum pathologischen Irrsinn, mit der Umleitung über ein Stück defätistischen Wahnsinn, quer durch das Irrenhaus der 24h Fahrer in Duisburg.
Dem 24h Event, wo man garantiert immer Spaß und Ärger zugleich hat. Dort, wo man die besten Menschen der Welt trifft und immer auch ein paar Arschlöcher. Wo Staub dazu gehört wie der Fußpilz zum Badegast. Land der aussterbenden Dixi-Klos und inflationärer Kaltduscher. 24h lang die dichtbevölkerste Wechselzone der Neuzeit erleben. Kuscheliger kann man nirgends auf engstem Raum zusammen sein, als im LaPaDu. Es gibt nur eine AC/DC Kurve und die ist hier. Und am Ende jeder Runde wartet das Alpe d’Huez des Ruhrpotts, der Monte Schlacko…
Das mit dem Tandem gehört schnell in die Kategorie Irrsinn. In Anbetracht der Probleme, welche die Strecke im Landschaftspark Nord schon ohne Tandem mit sich bringt, wird dieser Wirsing auch schnell verworfen. Denn: es sind auf dem 8km Parcours einfach zu viele Fahrer rund um die Uhr unterwegs.
Jedoch macht sich bei Frau Kalbertodt ein gewisser Starrsinn gepaart mit Langeweile breit. Sie will die 24h im Ruhrpott mal anders genießen, und nicht einfach mal so wieder die Damen- oder 2er-Mixed-Wertung gewinnen. Ich persönlich bin für die Sinnhaftigkeit meiner Handlungen berüchtigt. Da finde ich schnell Lösungswege, um Wünsche wahr werden zu lassen. Zum Beispiel: Schaltungen werden überbewertet, das kann man nicht oft genug sagen. Lassen wir doch einfach dem Wahnsinn freien Lauf.
Wir fahren beide als Solisten. Meine Vision ist es, sie in meinem Windschatten auf das Podest der Damenwertung zu fahren. Unmöglich? Das Wort „unmöglich“ gibt es für Langstreckenfahrer eh nicht. Keiner hätte vor 2 Monaten gedacht, dass Pierre Bischoff einfach mal so im ersten Anlauf das „Race across America“ gewinnt. Hat er aber, und ist danach noch mit Glanz und Gloria die Transalp gefahren, um jetzt auch noch in Duisburg zu starten. Unmöglich. Nein, das Wort kennen Langstreckenfahrer nicht. Wenn, dann gehen wir mit wehenden Fahnen unter, volle Pulle mit einem sehnsüchtigen Blick in die Weiten der Unmöglichkeit.
Und auch die meistgestellte Frage, warum wir Dinge tun, die sonst kein anderer Mountainbiker macht, ist immer sehr schnell beantwortet.
„WEIL WIR ES KÖNNEN!“
So stehen wir da wie jedes Jahr, am ersten Samstag im August, an der Startlinie unterhalb des Monte Schlacko. Nur, das Jana und ich in diesem Jahr die Joker im Minderheitenquartett der Podiumsfahrer sind. Aufgeregt wie immer vor einem Rennen suchen wir das Gespräch mit den Kollegen, um die Anspannung zu überspielen. Die erste Reihe gehört den Herrn im Ring, den Siegfahrern. Der ruhige Teil des Familientreffens wird genossen. Die ganze Hautevolee ist anwesend, Pierre Bischoff, Thomas Jäggle, Torsten Weber, Sven Hielscher, Björn Fischer, David Habryka. Es verspricht ein lauschiges Sommernachtsmärchen zu werden, denn wir haben unsere Prinzessinnen mitgebracht. Neben Jana Kalbertodt hat die Konkurrenz einige Podiumsmäuse aufzubieten: Sabine Fischer, Inga Flieter, Claudia Goldstrasz, Janina Grote.
Jedoch sind Namen bei Langstreckenrennen nur Schall und Rauch. Zu viele Gründe und Möglichkeiten gibt es, ein 24h-Rennen nicht zu beenden. Auf die Frage an den wertgeschätzten Philipp Mader vom Team2Beat, welches das „Hauptthema“ bei einem 24h Rennen sei, zitiere ich mal:
“Wenn ich mir ein Hauptthema aussuchen müsste, ist es eigentlich die Leidensfähigkeit. Klingt ziemlich abgedroschen, aber ich denke, das ist so ziemlich das Hauptkriterium. Es tut einfach irgendwann richtig weh. Wenn man dann weiß, dass man noch sechs Stunden vor sich hat, muss man das irgendwie hintereinander bekommen. Es ist jedes Mal härter als man denkt, auch wenn man es schon oft gemacht hat.”
Genau so ist das, und darum ist jeder erstmal froh als es losgeht und die Gedankenspiele aufhören. Plan- und sinnfrei war unsere gemeinsamen Vorbereitung, die daraus bestand, zusammen Bier am Alfsee zu trinken. Wir haben noch nicht mal probiert ob Janas Wunsch, eine Übersetzung 32/16 zu fahren, meinem Wunsch nach 30/16 vorzuziehen ist. 16 Minuten nach dem Startschuss wissen wir mehr. Einmal Monte Schlacko bitte! Ich gebe uns 3 bis 4 Stunden, dann laufen wir den steilen Teil des finalen Schlackeberges. Dafür treten sich die Anstiege hinter dem Kräutergarten, die AC/DC Kurve und der Hügel ohne Namen besser als erwartet.
Ich fahre voraus, Jana klebt mir am Hinterrad. Das Tempo ist vorbestimmt durch die Übersetzung. An den drei Gegengraden vor der Todestreppe und der Emscher Promenade springe ich jedem Hinterrad hinterher, welches nicht schnell genug die Flucht ergreift. Janas Schiffsdiesel ist noch nicht warm, meine Antritte überfordern sie. Ich nehme raus, in der fünften Runde sogar ganz.
In der Passage durch das Stahlwerk spritzt es Latexmilch. Meine Freude über den Maxxis Ikon mit EXO-Flankenschutz hält sich in Grenzen, denn in der Flanke ist das Loch nicht zu suchen. Jetzt weiß ich aber, warum ich seit zwei Jahren diese Maxalami zum Flicken eines Tubeless-Schadens mit mir herumschleppe. Nur doof, dass ich keine Lesebrille dabei habe. Um das Loch genau zu lokalisieren, wo die Dichtwurst eben dieses abdichten soll, brauche ich eine Brille. Toll, dass Jana noch keine altersbedingte Sehschwäche hat. Dieses Jahr kein Rennen ohne Defekt, geht es mir durch den Schädel. Schön, dass wir das schon mal abhaken können!
Jana stöhnt unter dem Tempo. Ich sage, wir brauchen ein Zeitfenster auf den vierten Platz, um das Podium zu verwalten. Sie fügt sich. Inga und Sabine liefern sich mit uns einen harten Kampf. Erst Leader sind wir schnell in der Verfolgung, weil das mit dem Singlespeedfahren so eine Sache ist.
Entweder man ist zu schnell oder zu langsam. Egal wie, am Berg steht man mit dicken Beinen da, während man sich auf der Geraden eine Nähmaschine kurbelt. Entspannen geht anders. Als Folge muss man einfach mehr Pausen einlegen, um dem Krampf, der an der Türe klopft, zu zeigen, dass niemand zuhause ist.
Das Leben auf einem Eingänger kennt keine Grauzone, nur schwarz oder weiß, nieder- oder hochfrequent. Außerdem ändert sich eine Tatsache im Rennen nie, egal was für ein Material du fährst. Ob Kurzstrecke oder Langdistanz, hinten fahren tut genauso weh wie vorne fahren, mit oder ohne Gänge. Also machen wir uns erst später Gedanken darüber, wie wir unseren Tod noch etwas hinauszögern können. Ab Runde 9 beschließen wir unseren Knien noch ein Leben vor dem Tod zu ermöglichen und nehmen das zweite Teilstück des Monte Schlacko nur noch in gebückter Gangart.
Die Zuschauer kommentieren: „Guck, das sind Solofahrer“. Wir schämen uns für unsere Zunft. Runde um Runde dauert es und die Erkenntnis bei den Zuschauern wächst, dass es sich hier nicht einfach nur um Solofahrer handelt. Die Rennmoderation hat aufgeklärt, der aufmunternde Zuspruch steigt und steigt. Gegen halb sechs gibt Inga auf, später gegen halb acht auch Sabine. Das ist so bei 24h Rennen, alles ist möglich. Wir sehen uns auf dem ersten Platz der Damenwertung. Ja, Einbildung ist auch eine Bildung, denn da ist noch jemand vor uns. Aber wer soll das sein? Bei uns hat sich sonst niemand angemeldet, um auf Sieg zu fahren. Es dauert so seine Zeit bis wir wissen, wer Julia Golz ist. Ernüchternd, was die gute Julia da abliefert. Runde um Runde dreht sie sich mit der Konstanz eines Uhrwerks, Pausenzeiten nicht spürbar. Schnell wird klar: es wird schwierig, an sie ranzukommen.
Der Fokus auf die Damenwertung wird einmal kurz unterbrochen, als mir jemand mitteilt, ich wäre Führender der Masters-Wertung. Das war nicht geplant und außerdem absurd, dummes Geschwafel, wir fahren weiter. Auf Nachfrage bei unseren Betreuern wird dies aber bestätigt. Bisschen doof habe ich dann schon geguckt und Jana verdreht die Augen. Jetzt nur nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Jana ist der Champ, ich bin der Edelhelfer. Weiter geht es mit der Mission Damenpodium.
21.30 Uhr, wir verwalten drei Runden Vorsprung auf die Sonne des Fahrerfeldes, Claudia Goldstrasz. Es dunkelt stark, wir singen Schlagerlieder. Janas Flakscheinwerfer leuchtet uns beide aus. Alles läuft wie geplant, voll langweilig.
Jana braucht eine längere Pause. Sie schickt mich spielen, ich fahre eine schnelle Runde. Gut gelaunt mit einem Lied auf den Lippen fahre ich ins Verderben. Die Motivation, einen langsamen Fahrer im Mircotrail vor der Emscher Promenade zu überholen, wird mit der stillen Ecke auf dem Bauch liegend im Dreck belohnt. Zack, wie das HB-Männchen stehe ich sofort aufrecht, bevor nur irgend jemand mich zu den Sanitätern abführen kann.
Ich hole Jana ab. Wir fahren noch zwei Runden, dann nehme ich die Auszeit einer Runde und Wolle, unser Betreuer, versorgt meine Wunden. Das gleiche Spiel wie bei der „Night on Bike“. Mann war ich froh, dass alles so schön verheilt war. Weiter, weiter, weiter, um ein Uhr haben wir eine verspätete Verabredung zur Mitternachtssuppe bei Radsport Nagel. Gisela Nagel, Urgestein des Damenradrennsports in Deutschland, hat geladen. Bevor es mir zu gemütlich in meiner Sternchendecke mache, drehe ich nochmal eine schnelle Runde. Jana hält sich derweil an ihrem Kaffee fest.
Die Welt ist schön, Jana auf zwei, Muschi auf zwei. Aber mal ehrlich, so richtig zu fassen ist das mit der Aussicht auf ein eigenes Podium nicht. Darum sitzen mir die Verfolger auch allzeit dicht im Nacken. Die Nacht ist mein Freund. Zu der Zeit, wo andere sterben, lebe ich. Manfred Thies, der Führende in der Masterwertung, sieht schlecht aus. Wahrscheinlich denkt er das gleiche von mir. Wir fahren um drei Uhr eine Attacke, Fullgazzzzzzz. Der Erfolg bleibt aus, Manni hat zwei Runden Vorsprung und es bleibt auch dabei. Die Entscheidung manifestiert sich, unsere Silber-Plätze nach hinten abzusichern.
Der Morgen graut, mein Grauen naht, so wie immer. Der Mann mit dem Hammer kommt. Normal ist er Dienstleister und kommt so gegen acht Uhr. Heute mal Malocher, kommt er kurz vor sechs. Er hat Frühschicht im Stahlwerk.
Mir geht es richtig Kacke, im Sinne eines Darmsprenghochquerschnittsschiss mit Schmerzfaktor 10 aus dem bekannten Scheiße-Quartett von quartett.net. Die 18 Stunden als Edelhelfer für meine Schlumpfine haben ihre Spuren hinterlassen. Ich bin ein Wrack. Ich tauge nur noch als Laiendarsteller für die Karfreitagsprozession in Wuppertal. Es schlägt nun die große Stunde der Jana Kalbertodt. Sie liegt 4 Runden vor unserem Sonnenschein Claudia und beschließt nun einstimmig mit dem Team, dass ich Zweiter der Masters-Wertung werde.
HURRA DER EDELHELFER IST TOT, ES LEBE DER EDELHELFER!
Achtzehn Stunden ich für sie, und nun sechs Stunden sie für mich. Das ist einfacher gesagt als getan. Ich fühle mich wie eine Amöbe auf Zuckerentzug. Gut, dass dies niemand nachvollziehen kann. Ich äußere mich abfällig über 24h Rennen, aber ich fahre weiter. Tempohart auf der Geraden bin ich immer noch, irgendwo aus meinem Unterbewusstsein heraus. Während Jana mich immer in den Anstiegen vertrocknen lässt, finden sich wildfremde Fahrer, die mich mitnehmen und auf den Geraden wieder an Jana ran fahren. Ich liebe Taxi fahren auf der Emscher Promenade… Jungs, ich habe ein beschissenes Namengedächtnis, aber ich danke euch allen für so viel Fürsorge, auch dir, Domenik-Tobias Fischer.
Und wo wir gerade dabei sind, es stirbt sich nirgends schöner als in Duisburg. Solofahrer leben irgendwann nur noch von Lust und Liebe. Und dann kommt ihr, Konkurrenten, Leidensgenossen, 2er, 4er und 8er Teamfahrer, Betreuer, Zuschauer, und ihr rettet uns Solofahrern den Arsch. Niemand außerhalb dieses Solofahrerkosmos kann erahnen, wie wertvoll euer Zuspruch ist. Mit Tränen in den Augen vor Dankbarkeit beim Team2Beat, WüsterHering oder der La’ola Welle in Sektor A vorbei zu fahren – unbezahlbar.
Ein Monte Schlacko, voll mit einem Menschen, der mich die ganze Nacht über anfeuert und mir Plazierungen entgegen schmettert. Angeschaut habe ich ihn nie, weil meine Augen nur gegen den Boden gerichtet waren. Danke an die Fahrer, die am besten wissen, dass ein Zuspruch, ein Klaps, ein Daumen, eine Zuneigung, ein Moment des Mitgefühls, für uns Solisten Berge versetzen kann. Euch allen gehört auch das Podium der Solofahrer.
So gegen zehn Uhr freundet sich ein Gedanke mit mir an. Dass ein dritter Platz auch toll ist. Lothar Ocker auf 3 sitzt mir immer noch im Nacken, aber Michael Steiner auf vier hat sich wohl damit zufrieden gegeben, meine Platzierung des letzten Jahres zu übernehmen. Soll der Lothar doch seinen Willen bekommen und mich überholen. Jana sieht das ganz anders und packt die Peitsche aus. Ich muss weiter.
Das Alpe d’Huez des Ruhrpotts füllt sich. Die Zuschauerreihen schließen sich zweireihig. Niemand redet mehr von Solofahrern, die den Berg hoch schieben. Nein, es sind die bekloppten Singlespeeder mit dem Podium vor Augen. Ich bin ja so ein bisschen heulig, wenn ich ergriffen bin. Letztes Jahr gingen mir die Muschi-Schlachtrufe auf den Geist. Dieses Jahr habe ich mich die letzten Runden darüber gefreut, dass man mir und Jana aus tiefsten Herzen den Erfolg wünschte! Ich habe noch nie eine Konkurrenz erlebt, die so leicht gönnen konnte.
Die letzte Runde. Solofahrer, viele, Michael Steiner und Jana begleiten mich. Ich gönne mir die AC/DC Kurve und den „Anstieg ohne Namen“ einmal zu Fuß. Für die Zuschauer werden Jana und ich ein neuntes Mal „all out“ den Monte Schlacko hoch fahren. Wir sind oben, der Berg hat uns nicht gekriegt. Meine Welt explodiert in einem Feuerwerk aus Endorphinen. Wir schnappen nach Luft, wir liegen uns in den Armen. Die letzen fünf Minuten genießen wir mit anderen Fahren auf der Kuppe. Es droht keine Gefahr mehr, keine Qualen, keine Schmerzen. Wir sind die ersten Eingangfahrer auf dem Podium der Damen und der Masters-Wertung in der Geschichte der 24h von Duisburg.
In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi
Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.