Giro Tyrant im Test: Mit dem neuen Tyrant MIPS bieten die Amerikaner von Giro neuerdings einen Open Face-Helm an, der mehr Schutz als herkömmliche Halbschalen-Helme bieten soll, gleichzeitig aber besser belüftet als ein großer Vollvisier-Helm ist – und aufgrund der auffälligen Optik definitiv alles außer gewöhnlich ist! Geht die Rechnung auf? Wir haben den Giro Tyrant MIPS getestet!
Giro Tyrant – kurz & knapp
Früher war die Sache klar: Wer im Bike Park unterwegs ist oder Downhill fährt, trägt einen Full Face-Helm. Wer hingegen aus eigener Kraft bergauf kurbelt, der greift zur klassischen Halbschale. Doch spätestens mit der immer größer werdenden Popularität der Disziplin mit dem griffigen Namen Enduro™ hat sich (auch) im Bereich der Helme einiges getan. Für den Renneinsatz oft vorgeschriebene Vollvisier-Helme werden immer leichter und besser belüftet, Halbschalen-Helme bieten nun teils deutlich großflächigeren Schutz und mehr sicherheitsrelevante Features als noch vor einigen Jahren. Mit dem Giro Tyrant gibt es nun eine weitere Option: Als Open Face-Helm ist das 159,99 € teure Modell irgendwo zwischen Halbschale und Vollvisier-Helm angesiedelt. „Style over Speed” sagt Giro zum Tyrant – doch neben der eigenwilligen Optik soll der Tyrant MIPS vor allem viel Schutz bieten, ohne dass man direkt zum schweren Full Face-Helm greifen muss.
- Open Face-Helm für den Trail- und Enduro-Einsatz
- MIPS Spherical-System
- EPS-Außenschale, EPP-Innenschale
- 14 Belüftungsöffnungen
- Größen S / M / L
- Farben Mattschwarz / Mattschwarz Hypnotic / Neongelb / Blaugrün
- Gewicht 703 g (Größe L, nachgewogen)
- www.giro.com
- Preis 159,99 € (UVP) | Bikemarkt: Giro Tyrant kaufen
Im Detail
Giro ist nicht die erste Firma, die einen Open Face-Helm anbietet – wirklich populär war diese Art von Helm bislang aber noch nie. Erst mit dem immer größer werdenden Angebot an konvertiblen Helmen, bei denen man mittels weniger Handgriffe den Kinnbügel entfernen oder wieder befestigen kann, wurden auch die Rufe nach dedizierten Open Face-Helmen lauter. Nachdem die Amerikaner von Giro vor gut drei Jahren die Neuauflage des Switchblade MIPS präsentierten, folgt nun mit dem Tyrant MIPS ein Helm, der einzig und allein als Open Face-Helm konzipiert ist. Der Tyrant soll aber mehr sein als ein Vollvisier-Helm, bei dem kurzerhand der Kinnbügel abgeflext wurde.
Das wohl wichtigste Sicherheitsfeature ist das MIPS Spherical-System, das Giro im Tyrant verwendet. MIPS ist das Kürzel für Multi-Directional Impact Protection System – das in Schweden entwickelte System soll dafür sorgen, dass die bei einem Sturz häufig auftretenden Rotationskräfte reduziert werden. Normalerweise wird das über eine dünne Kunststoffschicht zwischen Polstern und Helmschale realisiert, sodass sich die beiden Schichten gegeneinander drehen können. Beim Tyrant MIPS geht Giro hingegen einen Schritt weiter. Statt einer einzelnen Helmschale kommen beim Tyrant gleich zwei Schalen zum Einsatz; das MIPS-System ist zwischen diesen beiden Schalen positioniert. Ein nicht ganz unähnliches System verwendet beispielsweise auch 6D beim ATB 1T, bei dem ebenfalls zwei separate Schalen zum Einsatz kommen. Die äußere Schale beim Giro Tyrant MIPS besteht aus EPS und soll vor allem größere Kräfte bei harten, schnellen Stürzen gut abbauen können. Innen verwendet Giro hingegen eine weniger dichte EPP-Schale, die Kräfte von Stürzen bei niedrigen Geschwindigkeiten optimal reduziert.
Für zusätzlichen Schutz sorgt neben dem MIPS Spherical-System vor allem die weit nach unten und bis über die Ohren gezogene Schale des Giro Tyrant. Auch im Nacken ist der Helm tief nach unten gezogen. Im Vergleich zu herkömmlichen Halbschalen-Helmen bietet der Giro Tyrant relativ wenige Belüftungsöffnungen: 14 Stück sind es insgesamt. Sie fallen aber relativ groß aus. Das große Visier bietet genug Platz für eine Goggle. Die Passform lässt sich bequem per Roc Loc Air DH-Verstellrad auf der Rückseite des Tyrant anpassen. Die Polster lassen sich zum Waschen selbstverständlich herausnehmen. Außerdem sind unterschiedlich dicke Kinnpolster im Lieferumfang enthalten, sodass man die Passform weiter optimieren kann.
Auf dem Trail
Mit einem Gewicht von 703 Gramm in Größe L ist der Giro Tyrant ein ganz schöner Brummer. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Halbschalen-Helm für den Enduro-Einsatz wiegt etwa 400 Gramm, leichte und gut belüftete Vollvisier-Helme spielen in einer ähnlichen Gewichtsliga wie der Tyrant. Auf dem Kopf fällt das hohe Gewicht aber weniger auf, als man zunächst meinen würde. Das liegt auch an der Passform: Während der Tyrant auf der Oberseite des Kopfes sitzt wie ein herkömmlicher Helm, liegt er an den Backen kaum oder gar nicht auf. Die Schale ist im Bereich der Ohren ohnehin sehr dünn. Jeweils zwei große Belüftungsöffnungen im Bereich der Ohren sorgen außerdem dafür, dass man seine Mitfahrer problemlos versteht, auch wenn diese nicht mit der Lautstärke eines gerade startenden Jumbo Jets sprechen. Das unterscheidet den Giro Tyrant dann doch recht deutlich von einem Full Face-Helm: Man hat insgesamt deutlich weniger das Gefühl, vom Helm eingeengt zu sein. Das gilt für die Akustik genauso wie für das Sichtfeld. Auf dem Kopf fühlt sich der Tyrant also eher wie eine regulärer Halbschale als ein wuchtiger Full Face-Helm, bei dem die Ingenieure den Kinnbügel wegrationalisiert haben, an.
Die Schutzwirkung des Giro Tyrants mussten wir während unseres Tests zum Glück nicht auf die Probe stellen. Der Schutz im Bereich der Ohren, den der Tyrant zusätzlich bietet, dürfte beim ein oder anderen Sturz durchaus praktisch sein, wenngleich man keine absoluten Wunderdinge vom Extraschutz erwarten darf. Hier ist die Schale des Tyrants recht dünn. Wer also auch sein Gesicht schützen will, der kommt um einen Full Face-Helm – egal ob mit oder ohne abnehmbaren Kinnschutz – nicht herum. Auffällig ist, wie stark sich die zwei Schalen des Tyrants gegeneinander verdrehen lassen. Ein reguläres MIPS-System nimmt man für gewöhnlich kaum wahr, beim Tyrant hingegen ist es fast nicht möglich, das MIPS Spherical-System nicht wahrzunehmen. Das gilt einerseits, wenn man den Helm in die Hand nimmt und sich die innere Schale mehrere Zentimeter verdrehen lässt. Zum anderen merkt man das System auch auf dem Trail: Durch die permanente Bewegung in den Schalen knistert der Helm kontinuierlich, wenn man ihn auf dem Kopf hat. Freunde des Geräuschs, wenn Regen auf ein Zelt prasselt, werden dieses Feature gerne mögen. Alle anderen dürften gerade bei längeren Bergauf-Fahrten hingegen eher etwas genervt sein.
Hinsichtlich der Belüftung liegt der Tyrant irgendwo zwischen Halbschale und Full Face-Helm. Durch die großflächige Schale kommt die Frischluftzufuhr nicht an die eines kleiner dimensionierten Helmes heran. Für einen über 700 Gramm schweren und zumindest recht wuchtig wirkenden Helm ist die Belüftung aber erstaunlich okay – gerade im Bereich der Ohren. Bei wärmeren Temperaturen gerät man etwas schneller ins Schwitzen, sodass es gerade an heißen Sommertagen sicherlich bessere Optionen gibt. An kalten Wintertagen dürfte der Giro Tyrant hingegen angenehm warm halten. Die herausnehmbaren Polster sind relativ dünn, sodass zumindest an unseren Testköpfen keine unangenehme Druckstellen entstanden sind.
Unterm Strich bleibt allerdings die Frage, an welche Zielgruppe sich der Giro Tyrant letztlich richtet. Wer regelmäßig an Enduro-Rennen teilnimmt, der wird kaum um die Anschaffung eines gut belüfteten Full Face-Helms herumkommen. Diese können zwar hinsichtlich der Belüftung nicht mit dem Tyrant mithalten, bieten aber durch den Kinnbügel deutlich mehr Schutz – gewichtstechnisch spielen sie außerdem in derselben Liga. Um eine Halbschale zu ersetzen ist der Giro Tyrant aus unserer Sicht hingegen zu groß und zu wuchtig, wenngleich er mehr Schutz im Bereich der Ohren bietet. Und für einen Zweit- oder gar Dritthelm, mit dem man ausdrücken möchte, dass man ein lockerer und lässiger Typ ist, dem gelegentlich auftretende Kommentare über die eigenwillige Optik der Kopfbedeckung so gar nichts ausmachen, ist der Giro Tyrant nicht gerade ein Schnäppchen.
Das ist uns aufgefallen
- Halb voll oder halb leer? Als Open Face-Helm kombiniert der Giro Tyrant MIPS den großflächigen Schutz eines Full Face-Helms mit der guten Belüftung einer klassischen Halbschale – könnte man sagen. Man könnte aber auch sagen: Der Tyrant ist so schwer wie ein leichter Full Face Helm, bringt aber auch nix, wenn man mit dem Gesicht im Boden landet. Über das Für und Wider dieser Art von Helmen lässt sich hervorragend streiten.
- Geräuschkulisse Durch die beiden Schalen, die sich gegeneinander verdrehen, will der Giro Tyrant besonders viel Schutz bieten. Leider knarzt der Helm aber auch praktisch durchgehend, wenn man ihn auf dem Kopf trägt. Für uns war die Geräuschkulisse ein eher nerviger Aspekt.
- Tragekomfort Bei einem Helm gilt wie immer: Anprobieren vor dem Kauf! Insgesamt bietet der Giro Tyrant aber einen hohen Tragekomfort. Im Gegensatz zu den meisten Full Face-Helmen lässt sich außerdem die Passform über ein ausreichend groß dimensioniertes Drehrad auf der Hinterseite gut anpassen.
- Sonnenbrille oder Goggles Aufgrund der eigenwilligen Optik wird man zwangsläufig den ein oder anderen Kommentar zu hören bekommen, wenn man den Giro Tyrant trägt. Um keine Konflikte mit der Style-Polizei zu provozieren, haben wir den Tyrant während unseres Tests mit einer Goggle kombiniert. Aus unserer Sicht passt diese Kombination besser.
Fazit – Giro Tyrant
Mit dem Tyrant bietet Giro einen Open Face-Helm an, der dank MIPS Spherical-System gut schützen dürfte und mit einem hohen Tragekomfort punktet. Die Belüftung des eigenwilligen Helms geht in Ordnung, die Optik wird man entweder lieben oder hassen. Ob man was mit einem Open Face-Helm anfangen kann oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden – uns hat sich das Konzept unterm Strich aber nicht ganz erschlossen.
- großflächiger Schutz …
- fühlt sich auf dem Kopf recht leicht an …
- MIPS Spherical-System …
- … aber trotzdem kein Kinnbügel
- … ist aber deutlich schwerer als eine Halbschale
- … mit störender Geräuschkulisse
Warum MTB-News Helme nicht auf dem Prüfstand testet
Jeder Helm muss verschiedene Tests und Normen bestehen, bevor er auf dem europäischen Markt verkauft werden darf. Die Praxisrelevanz dieser Normen, bei denen die Helme nach einem standardisierten Verfahren auf einem Prüfstand getestet werden, wird teilweise kontrovers diskutiert. Um eine Verkaufserlaubnis für den europäischen Markt zu erhalten, müssen Fahrradhelme bestimmte Standards erfüllen.
Hierzulande besonders relevant ist die Prüfnorm DIN EN 1078. Bei dieser Norm fällt der Helm – inklusive Prüfkopf, dessen Masse zwischen 3,1 und 6,1 kg beträgt – zunächst aus einer Höhe von etwa 150 cm mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 19,5 km/h auf eine Stahlplatte. Anschließend fällt der Helm aus einer Höhe von circa 110 cm auf ein dachförmiges Ziel. Die Aufprallgeschwindigkeit beträgt hier 16,5 km/h. Im Prüfkopf befindet sich ein Sensor, der die Beschleunigung misst. Liegt diese unter 250 g, gilt der Test als bestanden und die Norm ist erfüllt.
Die Hersteller der Helme kommunizieren nur, wenn der Helm den Test bestanden hat – nicht jedoch mit einem konkreten Prüfergebnis. Die schwedische Versicherung Folksam hat 2015 mit einem aufwändigen Versuchsaufbau mehrere Helme auf dem Prüfstand getestet und anschließend die Ergebnisse veröffentlicht. Studien aus dem American Football zeigen, dass Gehirnerschütterungen ab einer Einwirkung von 60 bis 100 g auftreten können. Bei einer Einwirkung von 250 g – also dem Höchstwert, den ein Helm bei der DIN EN 1078 aufweise darf – liegt ein 40-prozentiges Risiko für eine Schädelfraktur vor.
Bei unseren Helmtests haben wir uns gegen einen Test auf dem Prüfstand entschieden. Dieses Thema haben wir vorab redaktionsintern diskutiert und uns dabei unter anderem folgende Fragen gestellt:
- Simuliert man auf dem Prüfstand nur die beiden Situationen, die auch für die Erfüllung der DIN EN 1078-Norm relevant sind?
- Wie relevant ist ein Aufprall aus einer Höhe von 150 cm mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 19,5 km/h auf eine Stahlplatte für einen Trail- oder Enduro-Helm?
- Und wie relevant ist ein Aufprall aus einer Höhe von 110 cm auf ein dachförmiges Ziel für einen Trail- oder Enduro-Helm?
- Sollte man nicht auch die auf den Kopf einwirkenden Rotationskräfte messen?
- Wie simuliert man im Labor einen bei einer Trailfahrt typischen Sturz?
- Müsste man nicht mehrere Ausführungen ein und desselben Helmes auf dem Prüfstand testen, um eine Serienstreuung auszuschließen?
- Wie, wo und wann testet man?
- Wie viel Schutz bietet ein Helm, der im Labor hervorragend funktioniert, in der Praxis aber schlecht auf dem eigenen Schädel sitzt?
- Wie viele Helme müsste uns eigentlich jeder Hersteller zuschicken, damit wir jedes der 13 Modelle sinnvoll im Labor und auf dem Trail testen können?
Die Antwort auf die Frage, weshalb wir die Helme nicht im Labor auf dem Prüfstand getestet haben, ist also komplexer, als man zunächst annehmen würde. Unter idealen Bedingungen hätten wir natürlich gerne jeden Helm auch hinsichtlich seiner konkreten Schutzwirkung möglichst objektiv, reliabel und valide getestet. Generell begrüßen wir es, wenn die Hersteller der Helme den Fokus vor allem auf sicherheitsrelevante Aspekte legen und würden uns eine praxisrelevante Überarbeitung der aktuell für Trail- und Enduro-Helme notwendigen DIN EN 1078 wünschen.
Wie gefällt euch der Ansatz des Giro Tyrant-Helms?
Der Beitrag Giro Tyrant im Test: Keine halben Sachen! erschien zuerst auf MTB-News.de.