Julia Hofmann kommt mit ihrem Bike ziemlich rum. Fast schon selbstredend, dass ihre Kanada-Trips sich nicht mehr auf Whistler und A-Line beschränken, sondern sie noch exotischere Plätze anvisiert. In dieser Fotostory berichtet sie von ihrem Ausflug in den rauen Norden Kanadas – aber Vorsicht: Akute Fernwehgefahr!
Ein dumpfes Klopfen, dann totale Stille. Wieder ertönt das Wummern, noch eindringlicher. Die Sonne geht langsam unter und der Nebel steigt über dem Fluss auf. Mystisch ist das richtige Wort für diese Szenerie. Immer wieder ertönen klopfende und summende Geräusche, die von der glatten Wasserfläche reflektiert werden und sich nach und nach zu einem rhythmischen Muster formen. Seit Hunderten von Jahren sind dies die traditionellen Klänge der First Nation, der Indianer hier ganz im Norden von Kanada. In ihrer schönsten Tracht gekleidet, spielen, singen und tanzen sie für uns zum Abschied unseres achttägigen Abenteuers auf den schönsten Trails im hohen Norden. Wie im Flug verging die Zeit mit einer genialen Gruppe von Menschen aus der ganzen Welt.
Es kommt mir vor als wäre es gestern gewesen, als ich spät in der Nacht aus dem Flieger in Prince George steige. Müde nach der langen Reise komme ich am Flughafen an und warte, doch von meinem Bikebag keine Spur. Justin, einer der Guides der BCBR Crew, empfängt mich fröhlich, als ich als letzte aus dem Flughafen stapfe. „Ich war schon besorgt, dass du gar nicht kommst“, sagt er und ich erzähle ihm meine Geschichte. Doch das stellt für Justin kein Problem dar: „Wir holen dein Bike morgen früh, wenn wir uns auf den Weg nach Burns Lake machen“.
Als wir nach etwa einer Stunde Fahrtzeit am Vivan Lake in Prince George ankommen, schlafen bereits alle in ihren Zelten. Nur von der Crew sind noch einige wach und drücken mir sofort ein kühles Bier in die Hand. Hmmm, das tut gut nach meiner dreißigstündigen Reise vom Wallis nach Lichtenfels über Frankfurt nach Vancouver bis nach Prince George.
Da ich ein Fotoshooting im Wallis hatte, bin ich erst zwei Tage später hier in Kanada angekommen und habe somit das Biken an der North Shore und den Tag in Burns Lake verpasst. Egal, trotz allem bleiben noch sechs Tage übrig und die sind es wert, die Reisestrapazen auf sich zu nehmen.
Am nächsten Morgen weckt mich ein kreischender Gummihahn aus den Träumen und eine tiefe Männerstimme ruft zum Frühstück. Ich krieche aus meinem Schlafsack und die Sonne blitzt durch die großen grünen Bäume! Kaum einen Fuß aus dem Zelt gesetzt, begrüßen mich die Ersten aus der Gruppe herzlich. „Oh, du bist also der Neuankömmling. Uns wurde schon erzählt, dass noch ein Mädchen kommt“.
Auch Fletcher, unser Mediziner, begrüßt mich freudig und drückt mir eine große dampfende Kaffeetasse in die Hand und zwinkert. „Trink, das erweckt Geister!” Später habe ich erfahren, dass dies seine eigene Kaffeemarke ist. Er ist nicht nur Mediziner im Krankenhaus und Bikeguide, nebenbei betreibt er noch gemeinsam mit seiner Frau eine Kaffeerösterei in Terrace.
Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen und geben die Taschen am riesigen LKW ab. Heute fahren wir nach Burns Lake und wir wollen früh aufbrechen, damit wir noch möglichst viel Zeit zum Biken haben. Thomas, einer der Guides mit dem größten Pickup-Truck, den ich je gesehen habe, fährt mit mir zum Flughafen, um mein Rad zu holen. „Hallo, ich bin Thomas“, sagt er in einem akzentfreien Deutsch. Verdutzt schaue ich ihn an und er lacht. Vor dreißig Jahren ist er von Deutschland nach Williams Lake ausgewandert. Er hatte nichts außer eine Idee. Gemeinsam mit der Regierung baute er ein Dorf der Ureinwohner nach. Dann kam eins zum anderen und heute hat er eine der größten Trailbaufirmen in ganz North British Columbia und seine Trailbauer sind die Indianer.
Ganz begeistert bin ich von Thomas’ Truck und frage ihn schüchtern, ob ich den denn mal fahren dürfe. Er lacht – ab diesem Zeitpunk bin ich sein Chauffeur und habe einen riesigen Spaß, den Truck durch die Weiten des hohen Nordens zu manövrieren. Schließlich in Burns Lake angekommen, baue ich mein Bike auf und Darren Butler, der Verantwortliche für die Touren, stellt uns die Trails und geguideten Gruppen vor.
Es ist für jeden der 50 Teilnehmer etwas dabei. Wer lange Touren bergauf und bergab – selbstverständlich auf Trails – fahren will, geht zu Justin. Er ist der Langstrecken-Mann der Crew. Puh! An einem Tag habe ich mich dieser Gruppe angeschlossen, in der darauffolgenden Nacht konnte ich besonders gut schlafen.
Für die kürzeren und einfacheren Touren ist Thomas da. Bei ihm ist ein 75-jähriges Ehepaar täglich mit dabei. Oft starten sie früher als wir, denn es ist mittags sehr heiß. Wenn ich in diesem Alter noch so fit bin …
Kelli und Darren, die beiden sind die Besitzer der Guiding Company „Endless Biking“, übernehmen die Enduro-Fraktion. Da die Mehrzahl der Teilnehmer sich hier einordnet, sind Dre, der Marketing-Mann, Dean, der Präsident und Fletcher, der Medizinmann, auch hier mit am Start und jeder guidet eine Gruppe. Das erste Mal Biken hier auf dem Trail, ich entscheide mich für eine Tour. Ich muss wohl überhört haben, dass Justin uns mitteilte, wir müssten lange und viel technisch bergauf und das schnell fahren, damit wir rechtzeitig von dieser Runde wieder zurück sind. Was dazu führt, dass ich mit einem gefühlten Puls von 200 in die Tour starte und gleich mal in einer technischen Uphill-Linkskurve eine kleine Bodenprobe nehme. Noch dazu direkt vor der Nase von Dre und einigen anderen der Gruppe. Dieser Vorfall sorgte dann für den Rest der Woche immer wieder für Gelächter.
Als wir nach vielen technischen Auf und Abs, endlosen Kurven und kleinen Sprüngen wieder am Startpunkt am See ankommen, ist alles schon fertig aufgebaut. In der einen Ecke stehen unsere Zelte in kleine Gruppen aufgeteilt. Unten, direkt am See, hat Erin ihr Massagezelt platziert und ist schon dabei, den Ersten zu behandeln. Am Steg liegen die Yogamatten bereit für die Übungen am Abend und am Morgen. Fraser werkelt schon fleißig in seiner Werkstatt, einem Zelt, ausgestattet mit dem Werkzeug, dass man für die Bikes braucht und gleich daneben, wie kann es anders sein, unzählige Dosen Bier in einer großen Wanne mit Eis.
Am Abend sitzen wir auf den Sandsäcken um das elektrische Lagerfeuer herum und lauschen den Klängen von Jimmys Gitarre oder erzählen uns Geschichten aus unserem Leben. Müde nach dieser langen Tour und vom Jetlag gepeinigt, falle ich in mein Zelt und lausche dem Gelächter von Fraser, der im Hintergrund bis spät in die Nacht unsere Räder wieder auf Vordermann bringt und dabei einen riesigen Spaß hat!
Nach einem üppigen Frühstück, gekocht von den Indianern, laden wir die Bikes auf die Dächer der Busse. Heute entscheide ich mich für das Shuttlen und reihe mich bei den Jungs von der North Shore ein. Was das bedeutet? An der North Shore fahren sie Trails, die nicht nur technisch bergab gehen, sondern richtig technisch mit einem Gefälle von gefühltem freien Fall. Also tauchen wir immer wieder in die steilsten Abfahrten ein. Trails mit den Namen „Shawns Flow“, „Full Boar“, „When Pigs Fly“ und „Smells like Bacon“ kommen uns unter die Räder. Doch das Wegenetz hier ist noch viel größer. Neben den elf schwarzen und doppelschwarzen Trails gibt es auch zwanzig blaue und zehn grüne Trails, die perfekt für jeden geeignet sind.
Bis die Sonne hinter den Bäumen verschwindet, fahren wir Trail für Trail ab und einer macht mehr Spaß als der andere. Am Abend gibt es dann eine Abkühlung mit Bier im See. Ich hatte ja schon Gemunkel gehört, aber dass die Einwohner von Burns Lake eine große Bühne aufbauen und zwei Bands alleine für uns den ganzen Abend lang spielen lassen, habe ich nicht erwartet. Gemütlich nage ich an meinem Maiskolben und lausche der Stimme der Sängerin.
Noch Tage hätte ich hier verbringen können, doch heute geht unser Roadtrip weiter. Smithers ist unser Ziel. Viele tolle Geschichten habe ich über die Trails in Smithers gehört und das zurecht. Die kleine Stadt Smithers befindet sich im Tal des Bulkley Rivers nur 250 km von der Grenze nach Alaska entfernt und wurde 1913 als das regionale Hauptquartier des Grand Truck Pacific Railways gegründet. Früher war das Haupteinkommen der Menschen hier oben Forst und Bergbau, doch heute ist es der Tourismus durch die Reisenden von und nach Alaska.
Auch für Mountainbiker wird es hier oben immer interessanter. Es gibt hier schon vier große Trailparks und die Tendenz ist steigend. Mein Favorit ist der Backdoor Trail: Er hat einfach alles, was mein Mountainbike-Herz begehrt. Die Stimmung ist hervorragend, als wir im Shuttle sitzen. Diesmal sind wir eine ungewöhnlich große Gruppe und haben daher auch gleich drei Guides. Nach einer kleinen Rampe, die wir mit eigener Kraft erklimmen müssen, geht es sofort bergab in einen schmalen Pfad. Viele Wurzeln und enge Kurven schmücken den Weg. Es geht durch dichten Wald und über offenes Moorgebiet. Immer schneller und schneller werden wir. Vor mir Fraser, der, wie ein Känguru, von einem Rand zum nächsten springt und dabei vor Freude laut jauchzt. Der Boden ist weich und leicht feucht, die Reifen bohren sich tief in den Untergrund. An manchen Passagen haben die Trailbauer kleine schmale Holzelemente eingebaut, um das tiefe Moorgebiet überfahren zu können. Der Trail wird immer technischer. Wie in einem Computerspiel, in dem der nächste Level kommt, so schlängelt sich jede Passage nach unten, bis wir auf einer Straße im Wohnviertel wieder ausgespuckt werden. Vor Euphorie fast berauscht, rollen wir zurück zu unserem Lager. Und ich wusste, diesen Trail fahre ich morgen noch einmal!
Heute haben wir nur kurz Zeit zum Biken, denn unsere Reise geht weiter. Terrace ist neben Prince Rupert eine der wirtschaftlich bedeutendsten Städte in dem dünn besiedelten Norden Kanadas. Die Stadt liegt an den Hazolton Mountains und im Tal des Skeena Rivers, im Gebiet des gemäßigten Regenwaldes.
Hier ist der Wald viel dunkler und feuchter. Die knorrigen roten Stämme der Riesen-Lebensbäume, eine Art Zypressengewächs, wirken mächtig und die dichten Nadeln lassen kaum einen Sonnenstrahl auf uns scheinen. Heute Vormittag am Terrece Mountain Trailpark gibt es kein Shuttle. Wir fahren eine große Runde durch den dichten Wald, das hellgrüne Moos bedeckt den Trailrand und die feuchten Wurzeln lassen meine Reifen nach rechts und links rutschen. Hoch konzentriert sprinte ich die kurzen technischen Passagen nach oben und balanciere einen schmalen Steg wieder hinunter. Total verschwitzt kommen wir nach mehreren Stunden bei der Mittagspausenstation an und entscheiden uns dann für die Erkundung der Trails im zweiten Trailpark auf der anderen Seite des Skeena Rivers. Als letzte Abfahrten dieser Reise fahren wir „Your Mom“ und „Big Easy“ im Copper Mountain Trailpark. Hier erwartet uns wieder eine trailbuildnerische Meisterleistung. Ein Mix aus engen Kurven, Anliegerkurven, technischen Anstiegen und steilen Abfahrten. Hier ein kleiner Sprung und anschließend eine flowige Kurvenkombination. Wir fliegen regelrecht die Trails hinunter. Viel zu schnell ist auch dieser Tag vorbei.
Als ich verträumt in unserem Shuttlebus nach Prince Rupert sitze, kann ich es kaum glauben, dass morgen schon der letzte Tag von diesem Abenteuer sein soll. Und ich glaube, die anderen um mich herum denken genauso. Eine zufriedene Stille herrscht in dem Fahrzeug, wo sonst ein aufgedrehtes Geschnatter war.
Die Sonne steht schon ganz tief als wir an der alten Lachs Cannary, nicht weit von Prince Rupert entfernt, ankommen. Die Cassiar Cannary haben Eirins Schwester und ihr Mann halb verfallen gekauft und über mehrere Jahre liebevoll zu einem Gästehaus mit kleinen Ferienhäusern umgebaut. Sie bieten hier Jetboot- und Riesenkajak-Ausflüge und Angeltouren an.
Wir werden mit einem großen Fest begrüßt. Der Grill ist schon angeheizt und hier an der Küste gibt es dann auch ein richtiges Lagerfeuer, da keine Brandgefahr mehr besteht. Das Bier steht schon bereit und die First Nations tanzen und trommeln um uns herum und wir mit ihnen.
Das Trommeln, Klopfen und Summen wird immer leiser und vermischt sich mit dem Knistern des Lagerfeuers, je tiefer ich in meinem Schlafsack eintauche. Ich träume von den letzten Tagen, von den tollen Menschen, dem Lachen, den fantastischen Trails. Wie viel Freude alle hatten. Egal, ob es der 75-jährige John war, der früh am Morgen die leichte Cross Country-Tour gemeinsam mit seiner Frau gefahren ist, oder Liv, die Lady, die mit Herzschrittmacher und Ebike die Runden gedreht hat. Oder Adam, der EWS-Athlet, der gemeinsam mit Gian, dem einzigen Europäer, die Black Dimond Trails unsicher gemacht hat. Und alle saßen wir dann am Abend zusammen und haben unsere Abenteuer vom Tag erzählt und gefeiert.
Ich freue mich schon wieder sehr auf das nächste Abenteuer mit den Jungs und Mädels vom BCBR im Norden von Kanada!
Wäre Nordkanada eine Urlaubsdestination für dich?
Der Beitrag Julia Hofmann – BC Bike Ride: Ein Trip in den rauen Norden Kanadas erschien zuerst auf MTB-News.de.